Am nächsten Morgen machten wir uns bei Sonnenschein daran, Shanghai zu erkunden. Vorher beantragten wir beim Russischen Konsulat, das praktischerweise gleich dem Hotel gegenüber lag, das Visum für die Rückfahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn.

Shanghai ist die am westlichsten wirkende und mit über 14 Millionen Einwohnern größte Stadt Chinas und hat nicht mehr allzu viel mit ihrem alten Ruf als ‘Sündenbabel des Ostens’ mit zahlreichen Opiumhöhlen, Piraten und leichten Mädchen gemein. Vielmehr wird sie heute durch Industrie, unüberschaubare Häusermassen, Chaos auf den Straßen und Übervölkerung geprägt. Ihre Stellung als Wirtschafts- und Handelszentrum mit dem großen Überseehafen am Huangpu übt natürlich eine besondere Anziehungskraft auf Menschen aus allen Teilen des Landes aus, so daß die Probleme weiter verstärkt werden.

All diese verschiedenen Volksgruppen lassen sich wunderbar am ‘Bund’, der Hauptuferpromenade, beobachten. Dort wird flaniert, sich unterhalten, Karten gespielt, Tai-Chi geübt, gesessen. Da die Chinesen mindestens genauso gerne wie Japaner photographieren und für Photos posieren, haben wir reichlich Gelegenheit zum Knipsen, müssen aber selber auch als beliebte Motive herhalten, um mit Chinesinnen abgelichtet zu werden - sehr zur allgemeinen Belustigung der Umstehenden.

Besonders frühmorgens zum Sonnenaufgang ist es sehr interessant auf dem Bund, wenn Tai-Chi die Szenerie beherrscht - allerdings sind es fast nur ältere Menschen, die in bewundernswerter Gelenkigkeit langsame Bewegungsmuster von bis zu 70 Übungen vollführen, alleine oder in Gruppen, teilweise mit Musik. Auch rückwärts wird gejoggt, angeblich ein bewährtes Mittel gegen Hüftleiden.

 {{g_ads}}

Erstaunlicherweise herrscht bei der Kleidung noch der ‘Mao-Look’ vor, ergänzt durch überdimensionale Sonnenbrillen.

Die Hauptstraße, die Nanjing-Lu, ist ständig verstopft mit Autos, Radfahrern und massenhaft Fußgängern. Um nicht die Nerven zu verlieren, darf man es nicht eilig haben, sondern sollte sich einfach in den Pulk einreihen und treiben lassen. Unterwegs kann man beobachten, wie Chinesen auf Bambusleitern stehend per Hand riesige Werbeplakate malen. Zwischendurch kann man an den vielen Garküchen, die besonders abends aufgebaut werden, allerlei Snacks - vegetarisch oder fleischhaltig - probieren.

In einem Park wurden wir, während wir Männern beim Karten- und Schachspielen zusahen, von drei Personen aus drei Generationen in erstaunlich gutem Englisch, wie wir es bislang nicht in China erlebt hatten, angesprochen und über Deutschland und alles mögliche ausgefragt. Sonst sprach kaum einer Englisch und nun gleich drei so gut! Sofort bildete sich eine Traube von knapp vierzig Menschen um uns, die alle Fragen stellten und die übersetzten Antworten gleich lebhaft unter zahlreichen ‘ahs’ und ‘ohs’ diskutierten. Wir waren selbst überrascht wie anders wir die Chinesen hier erlebten.

Ein ganz anderes Erlebnis war der Besuch bei der weltbekannten Akrobatik-Show, bei der mit unglaublicher Körperbeherrschung Übungen dargeboten wurden, die mir schon vom Zusehen Schmerzen bereiteten. Sehr viele Familien waren dort, die das offenbar als einen Ausflug betrachteten und lebhaft schwatzten, so daß ein hoher Geräuschpegel aufrecht erhalten wurde, der die Artisten jedoch nicht zu stören schien.