Vor der Abfahrt wurden jedem Gast Regenjacken angeboten. Ich hatte abgelehnt, weil ich meine eigene dabei hatte. Die jetzt aus dem Kanusack rauszuholen, ist bei meinem erbärmlichen Zustand eine zusätzliche Anstrengung.

Nun liege ich im hinteren Teil des Bootes auf den Planken, den Kopf bequem auf meinen Sack gebettet, und lausche den unwillkürlichen Kontraktionen meiner Beinmuskeln, die versuchen, Wärme zu produzieren. Sogar meine Kaumuskulatur ist verkrampft, die Zähne klappern, und ich schäme mich, weil ich großkotzig (sic!) auf die Tablette verzichtet hatte. Herman kommt öfter, fühlt meine Stirn und fragt besorgt, ob ich wieder an Land will. Es ist zwar in Sichtweite, doch ich will den Anderen nicht den Spaß verderben, sage: Nee, nee – lass man, hier unten geht’s mir gut. Das ist zwar ein bisschen gelogen, führt aber dazu, dass ich auf der Weiterfahrt, als ich den Kopf erneut über den Rand des Zodiacs halten muss, in den Genuss des Anblicks eines Pottwalrückens mit Blas komme.

Nach einer Weile verkündet Herman, wir seien nun auf dem Rückweg. Sehr nett von ihm, finde ich. Kurz darauf ist der Hafen erreicht. Das vermeintlich rettende Ufer ist in Wahrheit aber ein schaukelndes Ponton, das sich der jeweiligen Meereshöhe bei Ebbe und Flut anpasst. Stefan, der wohl mein immer noch grünes Gesicht bemerkt hat, schnappt sich freundlicherweise meinen Kanusack. Jemand anderes trägt meine Schwimmweste, und ich trotte, mühsam Haltung bewahrend, allen hinterher zurück zur base. Dort bedanke ich mich bei den Helfern und verspreche, vor der morgigen Ausfahrt brav meine pilule zu schlucken.

Ach, das macht doch nichts, sagt Brigitte, ich hätte mich am liebsten auch zu dir auf die Planken gelegt! Wie tröstlich. Ohne mich umzuziehen, laufe in der Tauchjacke das kurze Stück die Straße hinauf zu meinem Zimmer. Ob die Anwohner hier solche Gestalten wie mich wohl öfter beobachten können? Schnell gehe ich unter die Dusche, dann ins Bett und schlafe tatsächlich bis morgens um 6.30 Uhr durch, ohne Abendessen ……

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7. 6. 05 Dienstag

……. und wache natürlich mit knurrendem Magen auf. Unter meinen Füßen schwankt der Boden immer noch. Nach dem Frühstück gehe ich runter zur base, wo sich die beiden Gruppen, Watcher und Schwimmer, schon wieder zur Ausfahrt vorbereiten. Der Engländer Ryan jammert, er habe gestern bei dem auf Französisch gehaltenen briefing kein Wort verstanden, und die für später angekündigte Englische Version sei ausgefallen. Er bittet mich, ob ich ihm das jetzt während der Fahrt noch mal erzählen könnte. Doch ich muss ihn enttäuschen, denn ich habe beschlossen, mich nach meiner gestrigen Kotz-Orgie etwas zu erholen. Im Gegensatz zu den Anderen habe ich zwei Wochen am Stück gebucht und kann mir Zeit lassen. Außerdem brauche ich unbedingt frisches Obst. Es kann doch nicht sein, dass ich auf einer sonnigen Insel im Atlantik auf meine Leibspeise verzichten muss.

Vom Hotel aus zweimal links um die Ecke finde ich einen kleinen Supermarkt. Na bitte! Ist doch alles da – Bananen, Orangen, Äpfel, Möhren und sogar „Granola“, die offenbar weltweit bekannte Müsli-Mischung. Mit etwas Proviant und einer Wasserflasche mache ich mich auf die Suche nach der Straße, die oberhalb von Lajes entlang führt. Jedenfalls habe ich dort Autos fahren sehen, hoffe auf einen hoch gelegenen Aussichtspunkt mit Blick aufs Meer. Aber erst einmal durchs Dorf, um zu sehen, wo ich hier überhaupt gelandet bin. Hinter der Kirche liegen zwei Lokal, wo ich später vielleicht essen gehen könnte. Weiter die Mole entlang bergauf, rechts immer das Meer im Blick. Keine Boote, keine Wale, nur der Horizont und ein strahlend blauer Himmel. Das genügt schon für zufriedene Seufzer.
Etwas weiter oben finde ich dann die gesuchte Straße – wenig befahren, schön ruhig, viel Grün und der weite Blick über den Atlantik. Auf einer Mauer lasse ich mich nieder – der richtige Platz und die richtige Zeit, um mich über mein Obst herzumachen. Hier oben wird mir erst richtig klar, wie lange ich nicht mehr Urlaub auf einer Insel gemacht habe. Nach ca. 10 solcher Reisen war ich des Meeres, der Palmen schon fast überdrüssig, schlug mich buchstäblich in die Büsche, wanderte durchs Dickicht von Urwäldern, die mich nie wieder loslassen sollten. Nun sitze ich hier oben auf den Steinen und staune, wie sehr ich diesen Blick aufs offene Meer eben doch vermisst habe.