18.15 Uhr, St. Private d'Allier
Ein pittoreskes Örtchen in den grünen Bergen, hinaufgebaut bis in die höchsten Erhebungen. Jetzt wissen wir in etwa, was uns hier massentouristisch erwartet. Beim Start in Le Puy heute Morgen hatte sich eine ca. 12 Personen umfassende Gruppe gebildet, die sich bereits im Verlauf der erste Stunde wieder aus dem jeweiligen Gesichtsfeld verlor. Danach hatten wir eine Begegnungsquote von ca. 1/h, meist mit einem freundlichen "Bon Jour" abgehakt. 90% der Jakobsweg-Wanderer sind Franzosen, 100% der 6 Gäste hier unter dem von Hummeln und Bienen umschwirrten Lindenbaum vorm Dorf-Café sind Pilger. Die Einheimischen halten sich drinnen im Warmen auf.
 
Der Weg hierher war landschaftlich abwechslungsreich. Je höher wir kamen, umso mehr mischten sich die Vegetationszonen. Da hing der schwere, süße Duft des Holunders in der Luft, da sprossen die Heckenrosen direkt neben Wegwarte und Weidenröschen, Natternzungen und Königskerzen. Jede Art wollte dabei sein und blühte den Wegrand zu einem anarchisch bunt geknüpften Band.
 
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Zwei angenehm ruhige Kirchen in romanischer Wucht, eine in Tallot, die andere in Montbonnet. Hier sind so gut wie alle Kirchen in romanischem Stil erbaut. Es gibt nur einige wenige gotische Ausreißer. Montbonnet ist ein bemerkenswert abgelegener kleiner Ort, der sich um einen mutmaßlichen Vulkankegel reiht.
 
Als wir hier in St. Private, im "La Cabourne", ankamen, war unser Gepäck noch nicht da.
"Il va venir bientôt!" Das war die Auskunft, die die Gîtes-Verwalterin am Telefon bekam.
"Bald." Das konnte alles heißen. Immerhin bekamen wir schon mal ein Zimmer, sehr sauber und ohne Türschloss. Das ganze Haus steht immer offen. Pilger sind eben ehrliche Menschen und die Leute aus St. Private sowieso.
 
Blasencheck. Gute Nachricht: Keine! Schlechte Nachricht: Allergie! Meine Füße sehen aus, als hätte ich heftigste Selbstkasteiung im Brennnesselfeld betrieben. Dabei hieß es doch, Hirschtalgfett sei das Mittel der Wahl. Aber wahrscheinlich nur solche Salbe, die ohne Kampfer angerührt wurde. Shit. Ich versuche, das Inferno mit Insektenstichsalbe zu bannen. Bin gespannt, wie es morgen früh aussieht.
 
Wie unterschiedlich die Konstitutionen auf so eine Wanderung reagieren, sieht man daran, dass Silvie keinerlei Schmerzen verspürt, während ich jeden Knochen ab der Hüfte abwärts genau lokalisieren kann. Die Wadenmuskeln sind nahezu erstarrt und ich kann kaum noch auftreten, weil das Fußgewölbe mürbe ist. Dabei bin ich diejenige von uns beiden, die wöchentlich joggt und Silvie diejenige, die sich nie dem Regelmaß der Körperertüchtigung ergeben hat.