Überall wachsen hier die traumhaft schönen Regenbäume. Es sind Riesenbäume mit weitausladender Krone, die den Rindern guten Schatten geben. Die Form der Krone erinnert an einen Regenschirm. Der Stamm und sämtliche Äste sind von Epiphyten wie Bromelien, Schlangen- und Blattkakteen und Tillandsien bewachsen, was auf grosse Luftfeuchtigkeit hinweist. Für uns bedeutet dies schwülheisses Klima. Wenn diese Baumpracht im Mai blüht, muss das phantastisch aussehen.
 
Wir überqueren den breiten Rio Apure und kommen in den Bundesstaat gleichen Namens. Ab hier sind wir in den Nieder-Llanos (Bajos), während wir bisher durch die alto (hohen) Llanos fuhren. Vor allem die Nieder-Llanos werden in der Regenzeit überflutet, und wir sehen auch gleich viel mehr Wasserläufe, kleinere und grössere Lagunen, in denen verschiedene Reiher und Kormorane nach Futter suchen. Es gibt immer weniger Bäume, dafür weite flache Savannenlandschaft und sehr wenig Verkehr. Wir fahren fast alleine auf einsamer Strasse.
 
Schliesslich biegen wir rechts ab auf Erdpiste und kommen an ein bewachtes Gatter. Wir sind am Eingang zum „Hato el Cedral“, einer 50.000 Hektar (!) grossen Farm mit 20.000 Rindern und mindestens 5.000 Wasserschweinen, von denen uns jede Menge gleich „begrüssten“ und keineswegs flüchteten wie letztes Jahr im Pantanal, wo mir nur mit Mühe ein verschwommenes Bild gelang. Hier sitzen oder laufen ganze Familien mit niedlichen Jungtieren überall herum und gehen unserem Bus nur ungern aus dem Weg. Gustavo fährt im Slalom um die Wasserschweine herum. Begeistert steigen wir aus und beobachten und fotografieren diese so sympathischen Tiere. Vor allem die vielen kleinen haben es uns angetan. Aber auch die vielen grünen Leguane überall faszinieren uns. Sie sind über einen Meter lang und sehr schön. Auch auf den Bäumen laufen sie herum oder sonnen sich. An den Wasserstellen und Lagunen sitzen viele Schildkröten in der Sonne und auf den Zaunpfosten viele schwarze Anis, eine südamerikanische Kuckucksart, die ihre Eier aber selbst ausbrütet.

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Ich sehe durch die Frontscheibe etwas langes Dunkles am Wegesrand liegen und rufe: „Da liegt eine Anaconda, ich glaub es ja nicht!“ Cilfredo steigt aus und ich hefte mich gleich an seine Fersen. Es ist wirklich eine grosse Anaconda, die in die Lagune verschwinden will, als sie uns bemerkt. Cilfredo packt sie am Schwanz und ruft um Hilfe, weil er sie alleine nicht halten kann. Ohne nachzudenken, lege ich meine Kamera rasch in den Sand und packe die Anaconda fest mit beiden Händen und ziehe, aber das Riesentier ist so stark, dass wir sie nicht zurückhalten können. Erst als drei oder vier weitere Männer mit anpacken, gelingt es uns, die riesige Würgeschlange von fast sechs Metern Länge auf den Weg zurück zu ziehen. Wir sind in heller Aufregung und schauen gebannt auf das gewaltige Reptil vor uns. Nie hätte ich erwartet, einer Anaconda tatsächlich einmal so nahe zu kommen, geschweige denn, eine anzufassen. Ich bin ja seit jeher ein Schlangenfan und habe auf allen Reisen nach Südamerika immer Ausschau nach der Anaconda gehalten, aber nie eine in freier Natur zu Gesicht bekommen. Das Erlebnis mit der Buschmeisterschlange in Peru ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Und nun stehe ich also vor „meiner“ Anaconda und kann es noch gar nicht glauben. Sehr schön ist sie nicht, aber legendär wegen ihrer immensen Grösse und den masslos übertriebenen Gerüchten über ihre Gefährlichkeit. Sie ist olivgrün-braun mit den typischen kreisrunden dunkelgrauen Kreisflecken entlang des ganzen Körpers. Ihre Augen sind ziemlich klein und sehen ganz harmlos aus.