Um 6.45 Uhr sitzen wir schon beim Frühstück. Heute, am 12.10. ist Feiertag, weil Kolumbus an diesem Tag zum ersten Mal südamerikanischen Boden betrat, und zwar in Cumana, der ersten Stadt Venezuelas, die wir am Ende der Reise noch besuchen werden. Auch heute ist kein Mensch auf der Strasse und alle Läden geschlossen. So eine leere Stadt habe ich auf Reisen noch nie gesehen.
Um 7.30 Uhr fahren wir zum Flughafen, um mit drei Cessnas in den Canaima-Nationalpark zu fliegen, wo sich auch der höchste Wasserfall der Erde befindet. Es ist der Angel-Wasserfall, der 1000 Meter in die Tiefe stürzt. Vielleicht haben wir ja Glück mit dem Wetter und gute Sicht. Und wir haben Glück! Unter uns wird ein riesiger Stausee mit bizarren Inseln darin sichtbar, schliesslich dichter Urwald und dann tauchen die ersten der 117 Tafelberge der Gran Sabana auf, die hier steil aus der Ebene auftragen. Die Wolken werden immer dichter, doch gerade, als wir über den Auyan Tepuy, den mit 700 qkm grössten Tafelberg fliegen, reisst die Wolkendecke auf, so dass wir den Wasserfall in allen Facetten fotografieren können, denn der Pilot dreht eine Schleife nach der anderen. Der Wasserfall an sich ist nicht sehr spektakulär, zumal er derzeit nicht viel Wasser führt. Es ist mehr das Wissen darum, dass er mit 1000 Meter Höhe eben der höchste der Welt ist, das ihn so berühmt gemacht hat. Die mächtigen Tafelberge mit den senkrecht abfallenden Wänden finde ich wesentlich imposanter. Der Auyan Tepuy (in der Indianersprache: grosser Berg) ragt immerhin 2.400 Meter hoch aus der Ebene auf. Der höchste Tafelberg ist der Roraima mit 2.600 Metern, der im äussersten Südosten des Landes liegt.
Rasch landen wir in Canaima, einer kleinen Ansiedlung, die völlig auf Tourismus eingestellt ist. Nachdem wir den Eintritt in den Nationalpark bezahlt haben, steigen wir auf eine Art hölzernen Eselkarren mit Motor und werden ein paar hundert Meter weiter zu einem Freiluftrestaurant gefahren, wo wir Badesachen anziehen und unsere restlichen Sachen und Rucksäcke deponieren können. Wer will, kann nämlich heute hinter einem Wasserfall hindurchlaufen. Das wollte ich aber nicht, und wegen ein bisschen Nasswerden wollte ich nicht alles mitschleppen und dann womöglich in der Sonne verbrennen. Es kam aber ganz anders.