Am nächsten Morgen auf dem Dach: Außer Manu, der mich auch diese Nacht nicht aus den Augen gelassen hat und sein Lager neben dem meinen aufgeschlagen hat und mir liegen hier noch sechs, sieben andere Gestalten. Alle haben die Bettlaken bis über die Gesichter gezogen. Die Farben sind nach der Nacht noch nicht zurückgekehrt. Bloß das Milchweiß der Sonne, Lichtgrau des Himmels und die schwarzen Silhouetten der Antennen; der Strommast, der ins Leere ragt und dann plötzlich Rauschen über mir: der Flügelschlag einer Vogelwolke, die über mich hinwegfegt – und schon während dieses kurzen Momentes über mir ändert die Wolke ihre Gestalt. Meine Blicke folgen der Wolke, die jetzt wie ein gigantisches Sperma, einen Kopf voran einen nicht endenden, sich windenden Schwanz nach sich zieht. Es müssen tausende Vögel sein, kleine, schnell flatternde, flügelschlagende Wesen, jetzt bilden sie eine Spirale wie das Licht in van Goghs Nachtbild – hier aber schwarz vor grau. Gegen die Sonne ziehen sie Richtung Niger, vereinigen sich dort mit einer zweiten Schwarmwolke, driften auseinander, verschwinden im Dunst wie ein Spuk, wie der morgendliche Tanz wer weiß welcher Geister – vielleicht die Seelen der Ahnen, die ihren Segen für heute auf die Stadt herabschicken, sie umrunden, sie wohlwollend aufnehmen in ihr zeitloses Fortdauern.

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Hassan Deux und Osman, der Besucher von gestern Abend, haben eine Matte auf die Dachterrasse von Gismos Wohnung gelegt und dort geschlafen. Als ich vom Dach heruntersteige, räumt Hassan Deux gleich die Matte ins Wohnzimmer, damit wir alle Platz finden auf der doch recht kleinen Terrasse. Auf der Mauer liegt wieder eine Tüte mit rotem Wein. Ich frage Hassan Deux nach den Vögeln. Es sind les Girondes, parce qu´on a la saison du riz, der Reis beginnt zu wachsen, die Regenzeit beginnt.