Auf Bird Island sind selbst die Fische nicht argwöhnisch. Obwohl ich es an ihrer Stelle bei drei Millionen Rußseeschwalben, die sich von nichts anderem als Fisch ernähren, für durchaus angebracht halten würde. Aber wie so oft kann man sich in der einen Welt – ihrer Welt – die Realität einer anderen kaum vorstellen, und so fasst unsere Tochter A. einfach nach einem der vielen bunten Fische des Korallenriffs und ist dabei mehr erschrocken als das Fischlein selbst - es schwamm nämlich gar nicht weg. A. schrie vor Überraschung auf und musste glatt auftauchen. So ist das, wenn man gewöhnt ist, dass jeder jeden auf Abstand hält. Vermutlich würden wir fürs Paradies gar nicht mehr taugen. Wir schnorcheln den bunten Schwärmen zwei Stunden im Flachwasser der Korallenbänke hinterher. Und mein Mann ist kaum aus dem Wasser zu bekommen. Ein Fisch nach dem anderen übt Schaulaufen. Sie wirken unter Wasser so viel größer, so viel farbiger und extravaganter. „Warum sind sie nur so ausgesprochen bunt, so verrückt gemustert?“, staunt A. Und ich verkneife mir die schulmeisterliche Antwort mit der Anpassung an die Korallen, ein Wunder bleibt es trotzallem. Kaum steht man nämlich im Flachwasser und betrachtet sie wie ein Reiher von oben, wirken sie auf einmal farblos und blass. Mühevoll ist es, sie überhaupt zu erahnen. Ihr Zauber entfaltet sich erst im Wasser. Denn jeder Zauber braucht die richtige Umgebung, damit er wirken kann. Auf Bird Island scheint das leichter zu gehen.

 

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Beispielsweise eignet sich eine palmenumrandete Ebene, die bis ins Meer greift, damit drei Millionen schwarz-weiße Fleckchen ein zauberhaftes Muster ergeben können, eine gleichförmig und absolut harmonisch gewebte schwarz-weiße Decke, die sich von unsichtbarer Hand an manchen Stellen kreischend hebt und wieder senkt, in einem unerklärlichen Rhythmus, kraftvoll und magisch. Drei Millionen Rußseeschwalben fein säuberlich nebeneinander, nur eine Flügelspannweite entfernt die eine von der anderen, heraus geputzt in schwarz-weißem Frack, dazwischen die kleinen unscheinbaren Küken und die braun gesprenkelten hellen Eier, die frei daliegen, als wäre noch nicht ganz ausgemacht, wer sie auszubrüten hat. Dabei ist die ganze Kolonie ein feinsinnig abgestimmtes Gefüge, in dem jeder seine Aufgabe zu haben scheint: Wachposten gibt es, Tanten und Onkels, die warnen und beratschlagen, Mütter die hudern und andere, die Fisch heran schaffen. Ich lege mich flach an den Boden und beobachte die Seeschwalben, und sie – die kühnen Seevögel – werden zutraulich. Die Wachposten blinzeln neugierig in die Linse meines Fotoapparates, so etwas, was spiegelt und glitzert, finden sie ja gar so anziehend.


Und selbst die Tanten und Onkels scheinen mich als interessant und vertrauenswürdig einzustufen. Am skeptischsten bleiben die Mütter. Mütter müssen so sein. Die letzte Bastion. Wenn aller Gespür versagt, ihres versagt nicht, ihres bleibt wach, bis sich ihr Junges selbst in die Lüfte hebt. Ich beobachte die Alten, wie sie aufsteigen, und bin fasziniert: wie sich die Schwere ihres Körpers dabei aufzulösen scheint. Nur einem schwarz-weißen Strich gleichen sie schließlich, der stromlinienförmig im Wind liegt, verwoben mit ihm, als wären sie Geschwister. „Wir grüßen Dich, Du Ferne“, schreien sie in den Himmel und stürzen sich alsdann in die Brandung. Wie müssen sie das Meer schon vermissen, so viele Tage sind sie, die ansonsten nur Meer und Wind kennen, schon hier an Land. Eine beringte Rußseeschwalbe wurde in Neuseeland gefangen, 13.500 Km von Bird Island entfernt. Da war sie 30 Jahre alt und erfreute sich guter Gesundheit, ein Zeichen dafür, dass man als Rußsseschwalbe trotz eines Lebens auf dem Meer doch ziemlich alt werden kann. Ich schau ihnen in die Augen und versuch vergeblich ihr Alter zu schätzen, Falten haben sie bekanntermaßen leider nicht. Eine vor mir hat ihr Küken unter sich. Sie lässt mich ½ Meter an sich ran. Bei 40 cm protestiert und schimpft sie, bei 30 cm ruft sie die Polizei und ich weiche vorsichtig, damit sie nicht ob meiner Größe erschreckt. Das Küken lugt neugierig unter ihr vor. Wieviel Stürme stehen ihm wohl bevor, wieviel tausende Kilometer über dem Meer, bis es einmal selbst hier brüten wird. Ich nenn es „Isis“. Warum, weiß ich nicht genau. Auf jeden Fall wünsch ich ihm Glück und allzeit einen scharfen Blick, vielleicht hilft sein Name ja dabei. Namen haben es in sich.