Um dem morgendlichen Massenandrang zu entgehen und wenigstens etwas von der Erhabenheit des Ortes einzufangen, empfiehlt es sich im ersten Morgengrauen den großen Vorplatz von Angkor Wat zu überqueren und in das noch stockfinstere Tempelinnere einzutreten. Angelangt auf der Rückseite der Anlage, direkt am Rand des Urwaldes, führen gewaltige Treppenstufen nach ob. Aus 30 Metern Höhe geht der Blick auf das Dach des Waldes, bläulich-grün schimmernd liegt er da. Tausende Vögel kündigen mit ihrem anschwellenden Gesang die Sonne an. Endlich schickt sie ihre ersten Strahlen über die Baumkronen. Innerhalb von Minuten überflutet sie die steinernen Pagodentürme, die monumentalen Mauern und die filigranen Reliefs mit ihrem Licht, taucht alles in einen Rausch aus Farben. Ein unwirklich schöner Anblick – das frühe Aufstehen hat sich gelohnt!

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Diese Ruinen sind die letzten Zeugnisse einer längst im Dschungel versunkenen Hochkultur. Erbaut zwischen dem 9. und 14. Jahrhundert war Angkor einst politisches, kulturelles und religiöses Zentrum des Khmer-Königreichs, das außer dem heutigen Kambodscha auch weite Teile Vietnams, Thailands und Myanmars einnahm. Unter allen historischen Stätten der Region ist Angkor in seiner Größe und Schönheit einzigartig. Für das von langer Diktatur und Krieg traumatisierte Land hat Angkor heute eine überragende ideelle, identitätsstiftende Be-deutung. Als vor ein paar Jahren eine thailändische Schauspielerin abfällige Bemerkungen über die Tempelstadt machte, führte diese zu Massendemonstrationen vor der thailändischen Botschaft.

Häufig wird im Ausland der größte und bekannteste Tempel, Angkor Wat, mit der gesamten Tempelstadt gleich gesetzt. Zwar gilt Angkor Wat als größtes sakrales Bauwerk der Welt, ist aber dennoch nur einer von etwa 100 Tempeln, die sich über viele Quadratkilometer im Urwald verlieren, zum Teil völlig von diesem verschluckt wurden. Eine Ahnung davon wie sich der französische Abenteurer Henri Mouhot gefühlt haben muss als er 1860 Angkor „entdeckte“, bekommt man in der Anlage von Ta Prohm, nur drei Kilometer nördlich von Angkor Wat: Ein Zauberwald aus zerfallenden Tempeln, steinernen Tänzerinnen und Baumriesen, die ihre Luftwurzeln krakengleich um die Ruinen schlingen, schlägt jeden Besucher in seinen Bann. Während andere Anlagen wie Angkor Wat und Angkor Thom seit den 1920er Jahren vom Urwalddickicht befreit und renoviert wurden, blieb Ta Phrom ganz bewusst den Kräften der Natur überlassen. Es ist wie ein riesiger Abenteuerspielplatz, der Lust macht, ohne Kunstreiseführer einfach auf eigene Faust loszulaufen, zu entdecken und zu staunen. Ohnehin werden ausgeklügelte Besichtigunglisten bei 40 Grad im Schatten und drückender Luftfeuchtigkeit schnell zu Makulatur. Jeden Tempel sehen und seine Bedeutung begreifen zu wollen ist ein aussichtsloses Unterfangen. Ein Mehrtagesticket und Mut zur Lücke schützen da vor körperlicher und geistiger Überforderung.