Unser Waggon gehört zur gehobenen Klasse mit Abteilen, während die übrigen Waggons offen waren und bunte Menschenmengen beherbergen, vorwiegend Einheimische bzw. Mongolen. Ich studiere immer wieder gerne fremde Gesichter.

So nach und nach wachen unsere Reiseteilnehmer auf, und überall wird munter gefrühstückt. Ich sitze im Bett und mampfe Brot und Käse und Tomaten und schaue dabei aus dem Fenster. So habe ich auch noch nie gefrühstückt. Die Landschaft ist eintönig und langweilig, und uns stehen noch viele Stunden bevor. Irgendwo unterwegs taucht ein Schild mit der Aufschrift „5822 km bis Moskau" auf. Schulkinder steigen ein und aus, alle machen einen traurigen, trostlosen Eindruck. Irgendwie schaufeln wir die Zeit hinter uns, und gegen Mittag kommen wir in einem kleinen Städtchen an. Bei jedem Halt werden die Zugtoiletten zugesperrt, und nachdem wir hier lange Aufenthalt haben und die russische Grenzkontrolle über uns ergehen lassen sollen, sind wir gezwungen, die wahrlich grauenhafte Bahnhofstoilette aufzusuchen. Da sehnen wir uns doch glatt nach der großen Toilette in der Steppe zurück. Als ich von der Toilette komme, ist der Zug weg. Ich traue meinen Augen kaum, aber das Gleis ist leer und kein Zug in Sicht. Da stehe ich nun im hintersten Sibirien ohne Paß und ohne einen Pfennig Geld und ohne ein Wort russisch. Was würde ich wohl machen, wenn der Zug tatsächlich nicht wiederkäme? Aber nach dem ersten Schrecken sehe ich eine Lok herankommen mit einem einzelnen Waggon dahinter. Es ist unser Waggon, der hier abgestellt wird, während die Lok davonzieht. Fast 6 Stunden läßt man uns hier stehen.

 

Das Warenangebot ist gleich wie bei uns, und nach unserer langen Obst- und Gemüse-Abstinenz kaufe ich ein großes Glas schwarze Johannisbeeren, die ich handweise mit Genuß verspeise. Überall gibt es Beeren im Überfluß: Johannis-, Erd- und Himbeeren. Dann liegen da Berge von Tomaten, Gurken, Zucchini, Kartoffeln usw. Die Preise sind ähnlich wie bei uns und damit für viele Russen unerschwinglich. Dann gibt es noch einen großen überdachten Markt, in dem bergeweise Wurst, Käse, Fisch und Fleisch sowie Konserven und Lebensmittel aller Art sehr appetitlich angeboten werden. Wir kaufen Brot und Käse und Wurst für unsere Zugfahrt, denn in der Transsibirischen Eisenbahn gibt es absolut nichts zu kaufen. Das wußte der Reiseleiter der letzten Gruppe nicht und sagte, daß man im Speisewagen essen könne. Es gab aber keinen Speisewagen, so daß die arme Gruppe zwei Tage und Nächte hungern mußte. Das sollte uns nicht passieren, und wir deckten uns reichlich ein. Danach liefen wir quer durch die Stadt und dann am schönen Ufer der Angara entlang zu unserem Hotel zurück, wo wir völlig geschafft, müde und verschwitzt ankamen und die Dusche genossen. Im Hotel nahmen wir ein koreanisches Essen ein und schliefen dann in richtigen Betten wunderbar.

Der nächste Morgen war ein Schock, denn es regnete in Strömen, es stürmte und war saukalt. Wir hatten fast alle nur Sandalen an.... Das üppige Frühstücksbüffet mundete uns hervorragend, dann hatten wir noch ein bißchen Zeit und kauften russische Püppchen (Matruschkas, viele Püppchen in einander gesteckt). Mit dem russischen Bus und unserer russischen Reiseleiterin fuhren wir dann durch die Taiga, die 70 % Sibiriens bedeckt und hauptsächlich aus Lärchen, Birken und Nadelhölzern besteht. Sibirien ist 10 Mio Quadratkilometer groß, so groß wie ganz Westeuropa zusammen. Es leben nur 2,3 Einwohner pro qkm. Unterwegs sahen wir erbarmungswürdige sibirische Dörfer, die von der Welt vergessen sind. Wie blaß und blutleer und freudlos die Menschen dreinblickten! Und welch jämmerliche Behausungen dort standen, wenn man von einigen netten Holzhäusern mal absieht. Der graue Himmel und der Regen taten ein übriges, und wir dachten, hier ist wirklich der Hund begraben. Um keinen Preis wollten wir hier leben. Ludmilla beschrieb uns auf der Weiterfahrt den sibirischen Winter und daß hier jeder viel Geld in warme Kleidung investiert. Die Durchschnittstemperatur beträgt hier minus 21,3°. Im letzten Winter waren es über 4 Wochen lang sogar bis minus 54°. Bei minus 30° sprechen die Sibirier schon von Wärme. Der Baikalsee taut erst im Mai auf, seine wärmste Temperatur beträgt im Juli/August gerade mal 10-12°. Die Sibirier sind froh über den Pelzboykott, so bleiben die Felle im Land und können von denen getragen werden, die sie wirklich brauchen. In Sibirien gibt es 22.000 Bären und noch viel mehr Wölfe, die eine große Gefahr darstellen und ganzjährig geschossen werden dürfen, was bei diesen schlauen Tieren schwierig ist. Viele Wölfe kommen auch aus der Mongolei, und da das Futterangebot nicht ausreicht, ist der Viehbestand gefährdet. Es gibt auch noch jede Menge Rentiere, Rotwild, Elche, Feh, Hermelin, Zobel, Moschustiere, Vielfraße, Luchse, Füchse sowie 130.000 Süßwasserseehunde am Baikalsee.