Gegen 10.30 Uhr tanken wir kurz vor der Grenze noch einmal, suchen die “Befreiungshallen” (WC) auf und stellen dann unsere Uhren erneut um eine Stunde vor auf russische Zeit. Am Zoll müssen wir ein Formular ausfüllen, unseren Paß vorzeigen und dann in knalliger Sonne warten und warten. Solche Hitze hatten wir hier im sogenannten “hohen Norden” gar nicht erwartet, aber wir sind ja die Hitze von Deutschland her schon seit Wochen gewöhnt. So nach und nach kommen wir untereinander auch ein bißchen ins Gespräch. Wir müssen uns ja erst ein bißchen beschnuppern, denn auf dem Schiff verlor sich die Gruppe bei so vielen Menschen. Es waren überwiegend Ehepaare im Rentenalter dabei, aber auch einige alleinreisende Frauen und Männer. Und wie immer, gab es schöne und weniger schöne, sehr nette und auch zwei gar nicht nette Mitreisende. Es gab “Orginale” und auch ziemlich Farblose, es gab schweigsame und auch solche, die morgens wohl den Mund schon vor den Augen aufmachten und die erst der Schlaf zum Schweigen brachte. Ich habe noch nie eine Reisegruppe erlebt, in der nicht mindestens ein “fauler Apfel” gewesen wäre. Alles in allem war es eine eine harmonische und fröhliche Truppe.

 

Nach 2 Stunden hatten wir den russischen Zoll überstanden und rollten nun auf russischen Straßen weiter. Brigitte erzählte uns viel über Rußland, das mit 17 Mio qkm und 147 Mio Einwohnern das größte Land der Welt ist und dessen Hauptlandmasse in Asien liegt. Und verblüffend ist, daß in diesem Riesenreich nur eine Sprache, nämlich Russisch, gesprochen wird. Die Pracht und der Reichtum des Zarenreiches gehören der Vergangenheit an, und die meisten Russen sind sehr arm bzw. die Schere zwischen Armut und Reichtum klafft hier weit auseinander.

Wir fahren durch endlosen Wald aus Birken und Nadelhölzern (Taiga) durch Karelien, das ehedem zu Finnland gehörte, aber von den Russen besetzt wurde. Wir kommen in Vyborg an, der ehemals zweitgrößten Stadt Finnlands, die heute reichlich heruntergekommen ist mit vielen leerstehenden und tristgrauen Häusern. Auch die Straßen werden deutlich schlechter. Hier nehmen wir unsere russische Reiseleiterin, Tatjana, eine sehr sympathische junge Frau, auf und halten dann unsere Mittagspause in einem kleinen Park am Wasser. Brigitte hat die Bordküche angeworfen, und nachdem zwei Klapptische mit einem schicken Tischtuch versehen wurden, serviert sie uns Wienerle oder Landjäger oder auch diverse Suppen. Hinterher gibt’s Kaffee und Kuchen. Was für ein Service!

 

Wohlgestärkt geht die Fahrt weiter. Bis St. Petersburg sind es noch etwa 180 km. Tatjana informiert uns in gut verständlichem Deutsch und mit viel Engagement über Land und Leute in und um St. Petersburg herum, das bis zum Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion Leningrad hieß und das wohl jedem ein Begriff ist. Auch hier hatte es bis vor einer Woche viel geregnet und war sehr kühl gewesen. St. Petersburg hat durchschnittlich nur 35 reine Sonnentage im Jahr, und davon haben wir einige erwischt, wie wir später erfreut feststellen konnten.

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Wir fuhren weiter schnurgerade durch endlosen Wald, es gab keinerlei Ortschaften, höchstens ab und zu vereinzelte Häuser oder Gehöfte mit Landwirtschaft drumherum. Die Kartoffeln waren hier gerade mal 10 cm hoch. Schließlich tauchen die Vororte von St. Petersburg auf, in denen sich viele Datschas (Wochenendhäuser) der wohlhabenderen St. Petersburger Einwohner befinden. Es sind meist Holzhäuser in einem schönen grünen Gebiet. Dann sehen wir das Meer und den Hafen, jede Menge alte und auch neue Plattenbauten und jede Menge Baustellen. Es gibt hier seit zwei Jahren auch Supermärkte, und selbst McDonalds ist schon da. In den Blumengeschäften werden gerade Tulpen verkauft. Je weiter wir fahren, desto mehr schöne Häuser sehen wir, es sind viele gut restaurierte Jugendstilhäuser dabei, in denen die reichen Russen wohnen. Hier gibt es viele Geschäfte, Boutiquen und Restaurants aller Herren Länder. Schließlich kommen an die Newa, den größten Fluß St. Petersburgs, und sind sprachlos angesichts der leuchtenden Pracht der zahllosen Prunkgebäude aus der Zarenzeit, die anläßlich des 300 jährigen Geburtstags der Stadt restauriert worden sind. Ich wußte gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte, ein prächtiger Bau stand neben dem anderen, allen voran der berühmte Winterpalast, in dem sich die Eremitage befindet, aber auch die herrliche Isaak-Kathedrale. Es gibt Dutzende Bücher allein über St. Petersburg, und es ist unmöglich, im Rahmen eines Reiseberichts auch nur annähernd die Schönheit und die Geschichte dieser Stadt mit den Prachtbauten der Zarenzeit zu schildern. Das muß man einfach mit eigenen Augen sehen, denn auch die Fotos sind nur ein Abklatsch dessen, was wirklich ist. St. Petersburg ist einfach atemberaubend und wird sicher nicht zu unrecht das Venedig des Nordens genannt mit seinen vielen Kanälen, die sich überall durch die Stadt ziehen.

Wir hatten eine Extraführung durch die wunderschöne Isaak-Kathedrale, die der drittgrößte Kuppelbau der Welt ist. Hier gibt es u.a. riesige Säulen aus Malachit und Lapislazuli, herrliche Mosaike und eine sehr beeindruckene Kuppel. Wir fahren weiter durch das Zentrum und schauen auch in die Hinterhöfe und Eingänge. Da ist es vorbei mit der Pracht, denn Tristesse und nacktes Elend ist da zu sehen. Bettelnde Kinder sind derzeit selten in St. Petersburg, denn man hat annähernd 30.000 Straßenkinder rechtzeitig vor Beginn der 300 Jahr-Feiern vor die Tore der Stadt in Lager geschafft, wo sie bis auf weiteres bleiben werden. Aber arme alte Frauen sahen wir des öfteren, und Brigitte, die schon oft hier war, hatte kofferweise Kleidung aus Deutschland mitgebracht und verteilte diese hier. Ich wechselte in kleinere Rubelscheine und gab diese bei jeder Gelegenheit (32 Rubel = 1 Euro). Ich konnte nur ahnen, unter welchen Umständen diese alten Frauen leben mussten und hatte ein schlechtes Gewissen, weil es uns so gut geht. Der Zufall der Geburt hätte mich auch nach Russland setzen können.

Schließlich fahren wir zu unserem Hotel “Rossija”, das etwa 8 km ausserhalb des Zentrums direkt gegenüber dem Völkerpark liegt und beziehen unsere Zimmer, die ordentlich und sauber und für russische Verhältnisse sehr gut sind. Im Hotel können wir rund um die Uhr Geld wechseln. Im großen, hellen Speisesaal, durch dessen Fenster die Abendsonne hereinscheint und dem Raum viel Freundlichkeit verleiht, wird unser nicht sehr erbauliches Abendessen von jungen Russinnen mit versteinerter Miene serviert.