Über Sprechfunk kommt eine neue Meldung: Pottwale in Sicht! Eine ganze Gruppe! Pedro dreht ab und steuert das neue Ziel an. Unsere Crew mit den geschulten Augen zählt sieben „Individuen“, die gemächlich dicht nebeneinander schwimmen und mit ihrem Blas den Ozean verzieren. Aber da zottelt noch ein Achter hinterdrein. – Ein Männchen, sagt Biologe André. Die da vorn seien junge Weibchen. Typisch Männer, denke ich und stelle mir vor, wie dem Herrn Pottwal unter Wasser förmlich die Zunge raushängt, während er den Weibern hinterher schwimmt…..

Beim briefing hatten wir gelernt, dass der Mindestabstand zu den Großwalen 50m betragen solle. Der scheint mir jetzt aber immer kleiner zu werden. Fährt Pedro doch näher heran, um uns gute Fotos zu ermöglichen? – Nein, er hat Kurs und Geschwindigkeit genau beibehalten. Aber die Wale haben sich uns genähert, weil sie uns offensichtlich nicht als störend empfinden, sagt André. Das freut mich natürlich. Als der Abstand noch geringer wird, dreht Pedro langsam und vorsichtig ab. Der Motor ist bei niedriger Drehzahl erstaunlich leise, fällt mir auf. Ein Vierzylinder, erklärt Pedro. Erst als wir sehr weit weg sind von den Walen, düst er wieder mit voller Kraft los. Das ist dann nicht mehr so leise, und ich frage mich, ob das für die Wale nicht trotz der Entfernung noch Ohren betäubend klingt. Diese Frage gebe ich allerdings nicht an Pedro weiter, weil ich nicht auf eine ehrliche Antwort hoffe.

Gegen 15.00 Uhr sind wir wieder an der base, trinken dort die uns nach jeder Fahrt spendierten Erfrischungsgetränke und verabreden uns eine halbe Stunde später zu einer Fahrt mit dem Taxi zur Ostspitze von Pico nach Ribeirinha an der Punta de Ilho. Dort machen wir eine tolle Wanderung an der Steilküste entlang – zuerst über mit Gras bewachsene Feldwege, durch ein lichtes Wäldchen und schließlich über Stock und Stein durch eine schwarze Felslandschaft aus Lava in allen Formationen: Geröll, spitze Steine, Würste und (meine eigene Bezeichnung) „Elefantenscheiße“. Oh, ich liebe diese Kraxelei durch kleine Täler, das Springen über Mini-Canyons hinweg, den einen Fuß schon in der Luft, gefolgt von der Entscheidung, wo ich als nächstes hintrete. Und linker Hand immer ganz nah das Meer. Das erinnert mich alles sehr an Hawai’i und ist zum Heulen schön.

{{g_ads}}

Die Mitnahme fester Wanderschuhe hatte ich mir aus Gewichtsgründen erspart und bin jetzt sogar froh drüber, dass meine Füße bei dem tollen Wetter in den luftigen Trekkingsandalen atmen können. Nur zwei meiner Sprünge enden in Fehltritten und der Überdehnung der Sehne meines linken Fußes. Der Schmerz kommt erst abends, doch ihn zu ignorieren fällt leicht bei der Erinnerung an diese tolle Wanderung.

Erst bei der Rückkehr nach Lajes erfahre ich, warum sich die Franzosen ausgerechnet zu dieser Wanderung entschlossen hatten: Es war nicht die Liebe zu dieser rauen Natur, sondern sie wollten den Ausflug mit einer profanen Shoppingtour verbinden. Irgendwo am Rande von Ribeirinha soll nämlich jener François wohnen, der die hübschen Butterdosen mit der Walfluke auf dem Deckel herstellt, wie sie bei uns im Hotel benutzt werden. In der base kosten sie 20/25 €, und die Franzosen hoffen, sie bei François billiger zu bekommen. Eine Hoffnung, die nicht trog, wie sich später herausstellen sollte. Aber erst einmal müssen wir das Haus finden, wo er wohnt. Serge hatte uns nur eine gekritzelte Skizze auf einem kleinen Zettel mitgegeben und die Telefonnummer unseres Taxifahrers, damit er uns abends wieder abholen kann. Ich dachte natürlich, jemand habe ein Handy dabei. Nun irren wir über die Hügel des Dorfes und suchen vergeblich nach der Werkstatt von François, bis wir eine Dame nach einer öffentlichen Telefonzelle fragen.  Sie schüttelt nur den Kopf, bietet uns aber an, ihren Privatanschluss zu benutzen. Muito obrigado, senhora! Mit dem Taxifahrer vereinbaren die Franzosen, dass er uns au port abholen möge. Wir haben zwar keine Ahnung, wo in diesem Kaff ein Hafen ist, doch allzu schwer kann der ja nicht zu finden sein. Auf jeden Fall den Hügel abwärts. Also laufen wir  los. Unterwegs fängt es nett an zu gießen. Bevor wir alle komplett durchgeweicht sind, stellen wir uns unter Begehung eines Hausfriedensbruchs schnell in einer zufällig offen stehenden Garage unter.  Als der Regen nachlässt, marschieren wir weiter bergab und warten oberhalb der Mole, wo uns nach ca. 20 Minuten der Taxifahrer aufgabelt und zum Haus von François und seiner Madame bringt. Sie begrüßt uns mit kleinen Gläsern des schweren, aber köstlichen Inselweins, den wir alle jetzt gut gebrauchen können.

Die Regale in der Werkstatt sind voll mit Töpferwaren. Der Stiftebehälter mit dem freundlich lächelnden Potwal gefällt mir zwar. Doch bei der Frage, wo ich den zu Hause noch hinstellen soll, fällt mir partout nichts ein. So verkneife ich mir den  Kauf. Meine Begleiter aber schlagen mächtig zu. Kurz vor 20.00 Uhr sind wir zurück in Lajes. Die Anderen tun kund, dass man sich in einer halben Stunde im Restaurant „Lagoa“ hinter der Kirche zum Abendessen trifft. Da wollte ich heute ohnehin essen gehen. Gegrillter Squid (kleine Tintenfische) mit muito alho ist einfach köstlich, nichts für Leute mit Knoblauchallergie. Wenn ich nur nicht so müde wäre! Nach dem Espresso  verabschiede ich mich bald, obwohl es ein so lustiger Abend war.

Als ich noch kurz auf die Terrasse gehe, sehe ich die Pfützen vor dem verstopften Abflussloch. Es hatte wohl nicht nur in Ribeirinha wie aus Kübeln gegossen ……

 

 

Bei laienhafter Betrachtung des Meeres würde ich sagen, dass es heute irgendwie unruhiger aussieht als gestern. Ist es auch, wie ich um 9.00 Uhr an der base erfahre. Die Delfine müssen heute ohne uns schwimmen. Wir können „nur“ zum Whalewatching rausfahren. Die Tauchjacke kann ich also wieder aufs Zimmer bringen, vergesse aber leider, die Regenhose mitzunehmen, obwohl ich an der base doch beobachtet hatte, wie sich die ganze Crew dick in Regensachen einpackt – ein untrügliches Zeichen, dass es auf dem Boot heute etwas nass werden könnte. Wurde es auch. Pedro überlässt das Ruder der Biologin Maria, die im Gegensatz zu ihm nicht mit vollem Tempo durch die Wellen donnert, sondern ganz vorsichtig durch die Wellentäler der hereinkommenden Brecher dümpelt. Trotzdem ist meine Wanderhose bald nass, und ich friere wie ein Nacktmull. Andererseits stelle ich mit Vergnügen fest, dass meine uralten KoPi von ratiopharm durchaus noch wirken. Das Meer ist zwar sehr bumpy, und das Boot rollt nach allen Seiten, doch mir wird nicht die Bohne schlecht. Schon gar nicht beim Anblick des einsamen Pottwals, der auftauchte, blies, schwamm und nochmals blies (übrigens kein Wasser, nur kondensierte Luft!), bis er nach ein paar Minuten einen runden Buckel machte, uns seine wunderschöne große Fluke zeigte und abtauchte, um in der Tiefe nach seiner Lieblingsspeise, Tintenfische und Riesenkalmare, zu jagen. Wir bleiben trotzdem vor Ort, weil diese Walart keine langen Strecken auf dem Meeresboden zurücklegt und nach ca. 45 Minuten meist unweit der Abtauchstelle wieder an der Oberfläche erscheint.

{{g_ads}}

Aber während der Wartezeit kommt plötzlich vom Aussichtsturm die Meldung, dass an anderer Stelle eine große Gruppe Gewöhnlicher Tümmler zu sehen sei.

Maria steuert die neue Richtung an und erklärt, was es mit jenem Turm (vigia) auf sich hat, der in Küstennähe steht.  Zu Zeiten, als rings um Pico noch Walfang betrieben wurde, saß dort oben João, einer der Fischer der Insel, bewaffnet mit einem starken Fernglas und Leuchtraketen, die er abfeuerte, sobald Wale in Sicht kamen. Dann ließen seine Kollegen alles stehen und liegen, stiegen in die Boote und erledigten ihr blutiges Handwerk. Herman ergänzt, dass der alte João heute immer noch das Meer beobachtet, aber von seinem Haus an der Küste aus. Den Posten im Turm haben Leute von ESPAÇO TALASSA übernommen, ohne Leuchtraketen, aber auch mit Ferngläsern und dazu Mikrofon und Sender. Auf diese Weise bekommen die Bootsführer Infos, wo gerade Wale zu beobachten sind.

Als wir nun an der Stelle eintreffen, können wir den Tümmlern zuschauen, wie sie die Energie der Wellen zur Fortbewegung nutzen, auf ihnen reiten und manchmal auch Luftsprünge dabei machen.

Kaum wieder an Land, gehe ich sofort unter die heiße Dusche – so durchgefroren bin ich in meinen nassen Hosen. Ich muss vorhin auch mein Hirn im Zimmer liegen gelassen haben, als ich das Regenzeug nicht mitnahm, obwohl ich sah, wie die Bootsleute sich einmummelten. Nun ziehe ich mich mit einem Buch auf die Terrasse zurück, das ich kurz vor der Abreise noch zufällig auf dem Grabbeltisch entdeckt hatte: „Das Lächeln des Delfins“.  Das sind so die Zufälle, die ich öfter erlebe und die eigentlich keine sind. Plötzlich passt einfach alles zusammen, und ich muss nur zugreifen.