10. 6. 05 Freitag
Meine Tauchjacke nehme ich morgens erst gar nicht mit runter zur base, weil es immer noch sehr windig ist. Herman meint aber, wir könnten heute vielleicht schwimmen. Mir jedoch steckt die Kälte von gestern noch so in den Knochen, dass ich beschließe, im Boot zu bleiben, lieber ein paar Fotos zu machen. Das Meer ist wider Erwarten ruhig und die 1. Delfingruppe gerade auf Wanderschaft, zu schnell für Schwimmer. Die zweite aber umso besser. Ganz viele und ganz neugierige. Die Leute kommen prustend vor Begeisterung aus dem Wasser, erzählen mit glänzenden Augen, die Delfine hätten sie umkreist und seien ganz nahe gekommen. Muss ich mich jetzt ärgern, neidisch sein? – Ach nein. Ich habe nächste Woche noch fünf weitere Gelegenheiten, denke ich – nicht ahnend, dass das Wetter auf den Azoren auch schnell umschlagen kann…… Im Moment freue ich mich einfach am Anblick der vielen Tiere, die um das Zodiac herum schwimmen, drunter weg, um in einem perfekt gebogenen Halbkreis aus dem Wasser zu schießen und wieder einzutauchen. Das sieht so leicht aus, so ästhetisch, dass ich nicht meine Mitreisenden beneide, weil sie die Delfine von unten gesehen haben. Ich beneide die Delfine um ihre scheinbare Schwerelosigkeit, die ich nur gelegentlich nachempfinden kann, wenn ich – mit Tank, Regulator, Bleigurt und Kamera voll gepackt – mich endlich ins Wasser plumpsen lassen kann und nach dem Verschwinden der Luftblasen, die ich mitgerissen habe, plötzlich sehe, dass ich schwebe. Ein tolles Gefühl! Ach ja, die Nikonos. Jetzt schaue ich mir das Spektakel halt aus der anderen Perspektive an und kann ohne Angst vor Spritzern ein paar Aufnahmen machen. Die Anderen folgen Marias Kommando und dürfen, jeweils zwei zur selben Zeit, nochmals Rissos angucken.
Am Nachmittag will ich mir diesen Beobachtungsturm mal aus der Nähe ansehen und laufe Richtung Terras. Die Tür ist abgeschlossen, doch von oben höre ich den Sprechfunkverkehr mit den Booten. Die Biologen sind uns endlich los und schon wieder draußen auf dem Meer, um ihrer eigentlichen Arbeit, der Forschung, nachzugehen. Während ich da so sitze, an die groben Steine des Turms gelehnt, und die Ruhe genieße, kündigen Schritte das Ende derselben an.
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Es sind, Benno und Freundin, die ich schon im Frühstückszimmer gesehen habe und deren Sohn neulich darauf beharrte, sich erbrochen zu haben. Sie erzählen, dass sie morgen in ein anderes Quartier auf der Insel umziehen und laden mich zu einem Abschiedstrunk in die Hafenkneipe „Ritinha“ ein; der Rest der Truppe käme auch. Als ich dort eintreffe, sind wir aber erst zu dritt; ihren Sohn haben sie im Hotel geparkt. Die Anderen sitzen noch beim Apéritif im neuen Hotel von Serge gleich neben der base. Seine französischen Gäste sind dorthin umgezogen, trudeln nun aber nach und nach ein. Ryan, André, Pedro, Herman und ich bilden eine Deutsch/Englisch sprechende Ecke am Tisch, während die Franzosen, auch sprachlich, unter sich bleiben. Diese Grüppchenbildung an zu langen Tischen finde ich immer schade, weil nicht alle sich an der Unterhaltung beteiligen können.
Von André kommen kritische Anmerkungen zu unserem Programm. Er findet, man (damit meint er uns Touris) sollte die Delfine ganz in Ruhe lassen. Herman dagegen plädiert für den sanften Tourismus. Pedro erzählt von seinem Vater, der einer der ersten Weltumsegler war – er selbst, Jahrgang 1976, ist seit seinem 8. Lebensjahr mit dem Vater auf dem Meer. Schuljahre in Faial, zwei Reisen nach Lissabon, das ihm zu hektisch ist. Schon nach kurzer Zeit bekam er einen Koller und fuhr wieder heim. Ein Inselkind also, aber eins mit einer Patchwork-Biografie, die ihn als modernen Tausendsassa ausweist.