Brief 2

Von Kos nach Chariskeas

Liebe Töchter, heute schreibe ich Euch wieder von der Reise mit dem hundertjährigen Holzkutter und dem Fußball in der Ägäis. Der Grieche ist eigentlich kein typischer Fußballer und die hundertjährige NEPTUN ist auch kein typisches Charterschiff. Beide verändern jedoch derzeit mein Weltbild . Die einen können –oh Wunder - plötzlich stürmen und die andere schwimmt – oh Wunder - immer noch.

Ich stehe wie vor der Kulisse einer Zeitreise. Josef der Kapitän ist der Hauptdarsteller in seinem Seglerfilm, in dem nunmehr seit 25 Jahren die NEPTUN die Geliebte und er den Hauptdarsteller spielt. Manche Schrunde zeugt von Hieben der scharfen Axt des Schicksals in Holz und Haut, doch beide sind in Würde gemeinsam gealtert

Nach dem ruhigen Frühstück an Deck , denn der Capitano ist wahrhaft kein fröhlich zwitschernder Morgenmensch, nähert Josef sich behutsam dem Achterschiff. Die fleischige Nase des Bordbullen nimmt kurz Witterung auf die erste Brise des Tages. Er beschnuppert den samtigen Wind . So ähnlich näherte sich wahrscheinlich Hemingway am Kilimandscharo seinem ersten täglichen Brandy und seinem nächsten Löwen.

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Es reicht noch nicht zum Segeln, und daher verschwindet mit unvermuteter Eleganzia Captain Josef im ehrwürdigen Maschinenraum, wie Wieland in seiner Feldschmiede. Er taucht hinab in den Hades zwischen Schraubstock, bedeutenden Elektrokabeln, Farbdosen, alten Socken, öligen Hemden, Drahtbürsten, grünspänigen Bronzeteilen aus alter Zeit, Ölkännchen und, siehe da, einem Bergschuh. Vielleicht fuhr ja mal der Reinhold Messmer die Maschine. Dort ist sie verankert im Bauch und steht, rot, groß und tonnenschwer, wie der Geist aus der Flasche , bereit seinem Herren zu dienen. Josef wird jetzt zum Pferdestärkenflüsterer, zum Dieseldiseur. Die NEPTUN, zum Transport von Eis gebaut, um es vom saukalten Schweden ins golfstromwarme England zu verschiffen, bevor es elektrische Kühlschränke gab, bekam erst 1946 so etwas wie eine Maschine. Und was für ein Monster da eingebaut wurde! Ein Scania-Glühkopfmotor, ein 2-Takt-Ein-Zylinder. Der bringt aus 25 Liter zirka satte 70 PS (!) . An Bord gibt es sieben Schaugläser für das frische Öl und 10 Gläser für den alten Whiskey , so wie es halt sein muß in dem Haushalt einer ehrwürdigen Lady . Der Jockel wird mit Pressluft gestartet. Und daher verschwindet der Ölprinz vor dem Starten im Motorraum um dieses Gewirr aus Aggregaten, Stangen , Kesseln, Handrädern und Ventilen wach zu küssen. Man hört lange nichts aus dem Verlies, wartet. Josef Prometheus erbrütet Hand auflegend den Glühkopf und gibt urplötzlich das Feuer frei.