6:00 Uhr morgens. Wo sind wir? Verschlafen greife ich zur Kamera. Draußen ziehen erste Vogelschwärme vorbei. Saftige Wiesen, Kühe, Ziegen, Gänse, Menschen auf riesigen Feldern, Pferdefuhrwerke – und das alles in der Morgensonne! So muss es bei uns eine oder zwei Generationen früher ausgesehen haben!
Das Heu ist hier nicht mehr wie in Ungarn zu zylindrischen Rollen gepresst, sondern wird noch mit der Heugabel kunstvoll zu großen Haufen getürmt oder auf anderen Feldern auf einen alten Holzwagen verfrachtet. Menschengruppen sind mit Sensen unterwegs, alte Traktoren rattern auf ungepflasterten Wegen dahin… Wir fühlen uns in die Vergangenheit versetzt. Da, ein altes Ziegelwerk mit einer Ziege davor! Die Bahnhofsstationen sind zum Teil baufällig. Dann wieder hohe rauchende Schlote in der Ferne. Das Leben ist hier einfacher geworden. Auf den Straßenrändern sind mehr Ziegen und Gänse zu sehen, auf den Feldern geht es rege zu. Dazwischen streunen Hunde umher.
 
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In der Westukraine bekommen wir eine Hiobsbotschaft von unserem russischen Begleiter: 7 Stunden Aufenthalt. Wir haben den Anschluss verpasst. Das bedeutet 12 Stunden Verspätung! Die Lage ist gespannt. Es muss umorganisiert werden, umstrukturiert, telefoniert – Kreativität und Flexibilität sind gefordert. Die Sprache verstehen wir längst nicht mehr.
Irgendwann nicke ich vor Erschöpfung ein. Ein am Nachbargleis einfahrender Zug weckt mich gleich wieder. Aus den geöffneten Türen quellen Menschenmassen hervor, es wird laut und hektisch und bald ist der Bahnhof übersät mit Tieren und Menschen. Viele schleppen schwere, große Jutesäcke, deren ausgebeulte Konturen den Inhalt verraten (Kartoffeln und Kürbisse). Tomaten rollen aus überfüllten Schachteln, Stöße von Eierkartons werden kunstvoll balanciert….
Die Menschen helfen einander wenn zum Beispiel Gepäckswagenrollen im Gleis stecken geblieben sind oder jemandem die Last zu schwer wird. Auf dem Gehsteig schlafen alte Frauen mit bunten großgeblumten Kopftüchern. Ihre riesigen Körbe sind mit Obst und Gemüse gefüllt – dafür haben sie also auf den Feldern so hart gearbeitet. Die unmenschlich schweren Körbe sind von Hand geflochten. Plastiktaschen sieht man hier kaum. Es scheint ein harter Überlebenskampf zu sein – einer, der uns gänzlich unbekannt ist. Im Kontrast dazu lassen feudale alte Gebäude mit Jugendstilfenstern, an denen wir zum Beispiel in L´vov vorbeifahren, den vergangenen Reichtum und Prunk erahnen – Erinnerung an die ehemalige Österreich- Ungarische Monarchie, aber um welchen Preis? Aber die Fassaden bröckeln ab.