Am nächsten Morgen verteilt Doris unseren Proviant in den Rucksäcken, Cheddar (Käse), Salami, Haferkekse, Möhren, Brot. Ein altersschwacher Dorfbus bringt uns zum Nostalgieörtchen Tomich, wo verspielt viktorianische Cottages und Landhausvillen an einer einsamen Strasse dösen. Hier laufen wir los. Erst durch grün-metallische Kiefernwälder, in denen Spinnweben wie Geschmeide in der Mittagssonne illuminieren. Dann öffnet sich die Landschaft und ich fange an, in den ersten Panoramen zu blättern, die ich aus Bildbänden, Fotoreportagen und Filmen bereits kenne. Nur diesmal sind sie Wirklichkeit. Nackte, baumlose Berge und morastige Ebenen dehnen sich schier endlos aus. Heidekraut, Farne und Gräser bilden einen Flickenteppich aus grün-ocker-braun- und violett farbenen Mustern. Es ist einsam und geräuschvoll still. Eine Schnepfe stakt durch den Sumpf, irgendwo fliegen Moorhühner auf. Die Luft schmeckt würzig, rein, nach Freiheit. Doris reicht uns ihren Feldstecher und wir beobachten einen Adler am Himmel seine Kreise ziehen. Nach drei Stunden Wandern erreichten wir die Cougie Lodge Farm. Pferde, Kühe, Schafe und kleine Schweinchen laufen frei herum, ein paar Kinder kommen angerannt und verziehen sich nach anfänglicher Neugier wieder zum Spielen an einen Bach. Nur die Gänse sind ungastlich und schnattern und fauchen hinter uns her.
Wir entfernen uns immer weiter von der Zivilisation. Es gibt keine Strasse, keine Menschen, keinen Handyempfang. Dafür die kostbaren Reste des Caledonian Forest, der mit seinen sattgrünen Kiefern früher ganz Schottland bedeckte und hier seit der letzten Eiszeit in der 30. Generation steht. Und Loch Affric, auf dessen dunkel gähnender, glatter Oberfläche sich Berge wie der 1036m hohe Sgurr na Lapaich bespiegeln. Das Naturreservat Glen Affric zählt zu den schönsten Tälern Schottlands, mit dessen landschaftlichem Reichtum kaum ein anderes Glen mitzuhalten vermag. Der Fluß Affric selbst entspringt in einem abgelegenen Bergkessel der Kintail Mountains und stürzt talwärts hinunter bis nach Alltbeithe. Wir folgen den Mäandern des Flusses Affric durch grasige Ebenen, wo Orchideen und andere Wildblumen wachsen. Doris erzählt, dass in den zerstreuten Ruinen der steinernen Cottages früher Mitglieder des Chisholm Clans gewohnt haben, bevor man sie im 18.Jahrhundert zur Auswanderung zwang.