An eine chinesische Sitte konnte ich mich nie so recht gewöhnen: Überall, sei es im Restaurant, in Verkehrsmitteln oder nur draußen, wurde nach Herzenslust gespuckt. So auch hier. Der Schleim aus der Kehle wird im Buddhismus als Verkörperung des Schlechten angesehen und muß daher aus dem Körper hinausbefördert werden. Dies geschieht völlig ungeniert, indem er mit vielerlei Geräuschen aus allen Winkeln des Rachens zusammengekratzt wird und als dicker Flatschen auf dem Boden landet. Die manchmal vorhandenen Spucknäpfe waren in der Regel überfüllt. Freundlicherweise wurden wir von unseren chinesischen Abteilgefährten rechtzeitig geweckt, so daß wir morgens um fünf Uhr in Luoyang ausstiegen.
Um unsere Weiterfahrt nach Shanghai für den Abend sichern zu können, mußten wir erstmal einen Reisescheck einlösen. In einer Millionenstadt sei das keine größere Sache, dachten wir, sollten aber eines Besseren belehrt werden. In der ersten Bank zeigten wir im Reiseführer auf die Begriffe ‘100 DM’ und ‘Reisescheck einlösen’ und erhielten zusammen mit einem Kopfschütteln einen Zettel, auf dem allerhand chinesische Schriftzeichen notiert waren. Das gleiche spielte sich in der zweiten Bank ab, ebenso in den nächsten. Da wir niemanden finden konnten, der Englisch sprach, hielten wir einfach ein paar Passanten die nettgemeinten Zettel unter die Nase und sahen sie fragend an. Sie schauten meist etwas irritiert oder belustigt, deuteten aber hilfsbereit in unterschiedliche Richtungen. Chinesen betrachten es als unhöflich, keine Antwort geben zu können (so ‘verliert man sein Gesicht’), deshalb erhält man häufig eine falsche. Uns war damit leider nicht geholfen, so daß wir erst nach fünfstündiger Odyssee die offenbar einzige Bank, die Reiseschecks einlöst, aufgespürt hatten.
Glücklich liefen wir mit unserem Geld zurück zum Bahnhof, wo uns schnell klargemacht wurde, daß wir nur die Wahl zwischen der billigsten und der teuersten Klasse hatten. Wir wollten jedoch weder 18 Stunden unbequem sitzend im Zug verbringen noch soviel zahlen wie für ein Flugticket, rangen uns dann schließlich zu dem teuren Schlafwagenticket durch, Geld hatten wir ja nun genug. Außerdem wollten wir endlich zu den Longmen-Höhlen. Ihretwegen waren wir doch nach Luoyang gekommen und nicht zwecks Organisierens von Tickets etc. Da es - mal wieder - schon den ganzen Tag regnete, waren die Höhlen dunstverhangen, aber trotzdem interessant. Um 494 wurden am Yi-Fluß über 1300 Höhlen mit weit mehr als 10000 Buddhafiguren in die Felswand gehauen. Deren Größe reicht von wenigen cm bis 17 m. Seit Anfang diese Jahrhunderts fielen die Köpfe der Figuren Antiquitätensammlern, souvenierjagenden Touristen und nicht zuletzt der Kulturrevolution zum großen Teil zum Opfer.
Als wir abends den Komfort des Schlafwagens genossen, stellten wir fest, daß es doch die billigeren Liegewagen gab, aber das entlockte uns nur noch ein müdes Lächeln. Daß Touristen als prallgefüllte Portemonnaies betrachtet werden, die es zu leeren gilt, daran hatten wir uns mittlerweile gewöhnt. Wir teilten das Abteil mit einem Chinesen, von dem wir bis auf das gelegentliche Piepen seines Telespiels, die offenbar gerade ‘in’ sind, nichts hörten.
In Shanghai angekommen, wurden wir erst noch einmal in unserem Tatendrang gebremst, denn die Hotelsuche erwies sich als schwieriger als zunächst angenommen. Zielstrebig steuerten wir die preiswerteste Unterkunft an. In diesem alten, etwas barock wirkenden Hotel mit breiten, geschwungenen Treppen, verkündete gleich ein handgemaltes Schild, daß es ‘full’ sei. Anstatt erst einmal nachzuhaken suchten wir mitsamt dem Gepäck das nächste Hotel auf. Doch auch hier, wie in zwölf weiteren, darunter sogar zwei sehr luxuriöse, die wir abklapperten oder anriefen, fanden wir uns in der gleichen Situation. Manchen schien auch erst einzufallen, daß das Hotel belegt sei, nachdem wir uns als Deutsche zu erkennen gegeben hatten. Dafür daß momentan absolute Nebensaison war, kam uns das alles reichlich seltsam vor, so daß wir zum ersten Hotel zurückkehrten, um dort in der Halle die Nacht auf einem alten Sofa sitzend wenigstens im Trockenen zu verbringen. Nach eineinhalb Stunden merkten die Chinesen hinter der Rezeption wohl, daß wir nicht mehr weichen würden, und bekamen einen Anflug von Mitleid. Plötzlich hatten sie ein leeres Fünfbettzimmer für uns! Zuerst waren wir ziemlich sauer, weil wir den Nachmittag lang jetzt unnötig umhergeirrt waren, schluckten den Ärger aber schnell, um nicht doch noch abgewiesen zu werden. Vielmehr genossen wir die bequemen Betten und sogar eine richtig heiße, versöhnliche Dusche. Dieses scheinbar unfreundliche, desinteressierte Verhalten, das uns so häufig entgegengebracht wurde, rührt daher, daß die Hotels staatliche Einrichtungen sind und die Angestellten durch weitere Gäste lediglich mehr Arbeit nicht aber mehr Geld bekommen. Auch in Kaufhäusern war uns unmotiviertes, gähnendes Personal aufgefallen. Dafür haben jedoch sehr viele Chinesen einen Job, indem oft gleich fünf Personen hinter einem Verkaufstresen ‘beschäftigt’ werden. Auch sehr viele Alte sitzen als Hilfspolizisten an Kreuzungen und regeln den Verkehr oder wachen darüber, daß niemand ungestraft Abfall auf die Straße wirft. Dabei werden sie respektiert und genießen in ihrem betagten Alter in China ohnehin besonderes Ansehen.