Stern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktiv
 

Der nächste Tag war erst der zehnte Reisetag und zugleich Ostersonntag. Wir hatten aufgrund der ungeheuren Flut von Eindrücken das Gefühl, schon seit Wochen unterwegs zu sein. Franz hatte es tatsächlich fertiggebracht, 80 Eier zu kochen und zu färben, und ein Boy brachte diese Ostereier auf einem Riesentablett mit einer brennenden Kerze in der Mitte zu uns. Das Hallo und Gelächter war groß, und Franz bekam wieder einen Extraapplaus. So frühstückten wir also am Ostersonntag in Benares richtige Ostereier, die uns eine Weile in Atem hielten, weil sie sich schlecht pellen ließen. Das Abschreckwasser war ja nur lauwarm. Aber das machte auch nichts. Einige Inder sahen wir später mit den bunten Eierschalen in den Händen und verwunderten Gesichter. Bunte Eier hatten sie noch nie gesehen und überlegten wohl, welches Huhn die wohl gelegt hatte.

Dann packten wir unsere sieben Sachen, die Männer bauten den Schlafanhänger wieder mal ab, und dann ging es hinauf nach Nepal. Vor dieser Strecke fürchteten wir uns ein wenig, denn sie wurde als sehr übel beschrieben. Aber wir hatten ja keine Wahl und wollten ein Abenteuer. Ich hatte einen leichten Sonnenbrand und ziemlich schlechte Laune. An diesem Morgen gingen mir alle auf den Wecker, wahrscheinlich war es der berüchtigte "Rotelkoller", der jeden früher oder später mal erwischt. Man kann ja nie ausweichen und sich mal zurückziehen, und die Summe der ganzen Reiseumstände war ja auch nicht so ohne weiteres wegzustecken.

Wir starteten also um 7.00 Uhr, fuhren durch die fruchtbare Gangesebene, die wesentlich grüner war als die Landschaft bisher. Die Kinder waren hier unerwartet zurückhaltend und sahen uns nur aus einiger Entfernung zu, was uns ganz seltsam vorkam nach der bisher gewohnten Aufdringlichkeit. Das Wetter war an diesem Tag recht kühl und windig und für uns eine angenehme Abwechslung zu der mörderischen Hitze, die wir bisher erlebt hatten. Unterwegs ließ Veronika plötzlich halten, und dann sahen wir etwa 200 Geier oder noch mehr, die mit vollgefressenen Bäuchen faul um ein fast abgefressenes Rindergerippe hockten oder herumhopsten. Sie hopsten wirklich so herum wie in Kiplings Dschungelbuch, und wir haben sehr darüber gelacht.

 {{g_ads}}

So eine Ansammlung Geier haben wir nie wieder gesehen. Veronika erzählte uns dann noch, daß jedes Dorf seinen "Geierplatz" hat, zu dem alle toten Tiere getragen werden. Die Geier sind die Gesundheitspolizei Indiens, denn sie beseitigen innerhalb kürzester Zeit das größte Aas.

Veronika erzählte uns die Geschichte der Ganga, wie der Ganges in Indien genannt wird. In Indien sind alle Flüsse weiblich, und die Ganga ist eine Göttin, die vom Himmel heruntergestiegen ist und das Land mit Fruchtbarkeit durch das Wasser gesegnet hat.

Die Straße hatte viele Hügel und Unebenheiten, und der Bus machte zeitweise ganz tüchtige Hopser, so daß die Ärmsten auf der letzten Bank mehrfach in Richtung Busdecke flogen. Alles johlte und juchzte, wenn wieder so eine Delle überfahren wurde. Offensichtlich stecken auch in uns noch Kinder, und das ist ganz gut so.

Auf den Feldern ringsherum standen auch mächtige Bambushaine, die sich luftig im Wind wiegten. Der Bambus hat mir neben dem Korallenbaum am allerbesten gefallen.

Schließlich - nachdem auch die Hitze wieder da war - machten wir in Ghodakpur Mittagsrast, und zum ersten Mal während unserer Reise hatte ich keinen Durst. Wir schlenderten die Dorfstraße entlang und staunten über die vielen ordentlichen Geschäfte hier. Richtige Läden waren das und zudem relativ sauber. Das haben wir vorher und hinterher nirgends mehr so angetroffen wie in diesem einsamen Nest. Wie merkwürdig! Sogar eine Schallplatte konnten wir dort kaufen von Ravi Shanker, dem berühmtesten Sitarspieler der Welt. Außerdem erstanden wir ein paar ganz originelle Holzlatschen und ein vorsintflutliches Eisenschloß, das demnächst unsere Gartentür absichern soll.

Wir fuhren weiter und verließen das fruchtbare Schwemmland des Ganges und erreichten das Gebiet des Terrai, das man als Urwald bezeichnen kann. Hier standen viele Teak- und Salholzbäume, und langsam ging es bergan. Unterwegs hielten wir ab und zu für einen Buschstop - Frauen rechts, Männer links - dann ging es unermüdlich weiter bis gegen 17.00 Uhr, als wir endlich in Sonauli an der nepalesischen Grenze ankamen. Wir brauchten für Nepal ein Visum und jeder mußte 3 Paßfotos haben und diverse Zettel ausfüllen mit einer Menge Fragen darauf. Nach drei Stunden endlich schienen alle Hindernisse aus dem Weg geräumt zu sein - nachdem Franz den Zollbeamten einige T-Shirts, Kulis und Feuerzeuge spendiert hatte - und wir konnten endlich den vielen hier wieder sehr aufdringlichen Kindern entfliehen, die uns umlagerten. Ich hatte einen etwa 7 Monate alten Jungen auf dem Arm und konnte mich kaum losreissen, da wollte mir der grössere Bruder das Kind doch tatsächlich für 50 Rupies verkaufen - das sind DM 17,50. Ich war ganz erschüttert!