Am nächsten Morgen werde ich schon früh davon wach, da auf der Straße vor dem Hotel, Jugendliche mit Feuerwerkskörpern spielen und dann eine kleine chinesische Kapelle durchs Dorf zieht. Ich springe auf und will zum Fenster gehen, als mir erst einmal kurz schwarz vor Augen wird. Es ist die Höhe von 2.900 Metern, die einen auffordert, alles ein wenig gemächlicher zu tun. Warm eingepackt mache ich mich bei Minusgraden auf zum Kloster Thashikyil, einem Kloster des Gelupaordens, auf. Es ist das größte Kloster in Amdo (Osttibet) und beherbergt heute rund 1000 Mönche sowie 10 lebende Buddhas. Die einzige Straße des Dorfes führt mitten durch das große Klosterareal. An den Wänden der Klostermauern sind über mehrere hundert Meter Gebetsmühlen befestigt, die Scharen von Nomaden im Singsang drehen. Mit der rechten Hand drehen oder berühren sie die Gebetsmühlen und in der linken Hand halten sie die Gebetsschnur mit den 108 Perlen. Zusammen mit dem immer wiederholten Mantra „om mane padme hum“, versetzt es die Gläubigen in einen meditativen Zustand. Von überall her strömen Pilger und Nomaden, die das dreitägige Klosterfest „Mön lam“ (das Wunschgebet) und Losar (tibetisches Neujahrsfest) besuchen. Später erfahre ich, dass diese Pilger teilweise seit Wochen zu Fuß unterwegs sind, um hier in Labrang an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Ich umrundet die Klosterstadt auf dem Lingkhor, dem äußeren Rundweg im Uhrzeigersinn und treffe auch hier hunderte von Tibetern, die in ihrem bunten Festagstrachten auf ihrem Weg ins Kloster sind.
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Dazwischen immer wieder kleine, alte Frauen die diesen heiligen Weg mit „Niederwerfungen“ abschreiten. Dabei berührt der gesamte Körper der Länge nach den Boden und dort wo sich die ausgestreckten Hände befanden, dürfen beim nächsten Schritt wieder die Füße hingestellt werden. So werden teilweise hundert Kilometer lange Strecken abgeschritten. Damit die Hände nicht aufreißen, werden Badelatschen als „Schlitten“ für die Hände genutzt. Buddha selbst verglich diesen Ritus mit einem „gefällten Baum“. Still stehe ich abseits und sehe diese alten und zerbrechlichen Frauen immer wieder aufstehen. Es riecht nach Staub, verbranntem Wacholder und das beständige Summen der Mantren erfüllt die Luft. Ich fühle mich in eine andere Welt, in eine andere Zeit versetzt. Diesen starken Glauben meint fast körperlich zu spüren.