Industrie und häßliche Wohnblocks kündigen die Hauptstadt Ulan-Bator an. Es ist immer schwierig von unserem chinesischen Waggonbegleiter zu erfahren, wie lange wir jeweils anhalten, da uns eine gemeinsame Sprache fehlt. Laut Fahrplan haben wir eine halbe Stunde, die wir dazu nutzen, ein paar Straßen in Bahnhofsnähe zu erkunden. Viel Staub und ein paar Abfälle werden umhergewirbelt, die Häuser sind im typischen Ostblockstil erbaut und die Autos erinnern an Vorkriegsmodelle. Am schnellsten haben wir wieder Kontakt zu Kindern, von denen sich ein paar dick angezogene, etwas schmuddelige, aber nette Jungen gerne photographieren lassen. Die Stadt selbst wirkt weniger freundlich und einladend, schon gar nicht die enormen Temperaturunterschiede von -45 °C in Winter und +35 °C im Sommer.
Als wir weiterfahren, fängt es an zu schneien. Mit Greg gehen wir in den Speisewagen, um die mongolische Küche zu testen, und treffen dort auf Cathy und Beth, die als erste hierhergekommen waren. Der Tisch ist mit einem fleckigen Tischtuch bedeckt und wird von einem geschmacklosen Strauß blauer Plastiktulpen geziert. In der Speisekarte sind erstaunlicherweise knapp 50 Gerichte aufgeführt, von denen aber nur acht preislich gekennzeichnet sind und wiederum nur zwei bestellt werden können. Beth empfiehlt uns Borschtsch, eine Gemüsesuppe, die ihr recht gut geschmeckt hat. Greg bestellt sie sich, und als Lars und ich dies ebenfalls tun wollen, wird uns mitgeteilt, es gebe keine mehr. Wir sind sehr verdutzt und müssen alle lachen, denn daß gerade mal zwei Portionen erhältlich waren hatte keiner von uns erwartet. Schnell bestellen wir das alternative Gericht, das zwei Spiegeleier mit Frühlingszwiebeln - wo immer die nun wieder herkommen - für 4 US$ umfaßt.
Während wir es uns schmecken lassen, tauchen draußen vermehrt Bäume auf, der Schnee wird dichter und wir erreichen am späten Abend die Grenze nach Sibirien.
Aus unerfindlichem Grund stehen wir scheinbar endlos lange herum, ständig kommt jemand und möchte die Pässe sehen oder sucht irgendwas. Die Grenzbeamten sind aber selbst mitten in der Nacht ausgesprochen freundlich und tun uns leid, denn an diesem verlassenen Ort möchte ich nicht arbeiten müssen. Um zwei Uhr morgens fahren wir mit sechs Stunden Verspätung, die wir bis Moskau beibehalten werden, ab und fallen totmüde ins Bett.
Rußland, Sibirien. In meiner Vorstellung bislang immer ein völlig flaches, weites Land, so daß ich überrascht bin, am Horizont relativ hohe Berge zu sehen. Leider liegt kaum Schnee, aber die Temperaturen sind deutlich unter null. Der Zug rollt an kleinen Orten vorbei, die sich aus hübschen, bunt angemalten Holzhäuschen zusammensetzen. An den Bahnübergängen warten meist ein paar Autos, und auf den zugefrorenen Flüssen kann man Leute beim Eisfischen sehen. Sie haben ein Loch ins Eis gehackt und warten auf einem Hocker daneben, daß ein Fisch an ihrer Angel anbeißt. Die Vegetation wird von sehr vielen Birken und Nadelbäumen geprägt, was sich wiederum mit meiner Vorstellung deckt. Sonne und stahlblauer Himmel komplettieren das ganze zu einem malerischen Bild.
Bei Ulan-Ude stoßen wir auf die eigentliche Transsib-Strecke. Auf diesem ersten russischen Bahnhof, an dem wir halten, erleben wir einen bunten Handel, der zwischen Chinesen und Russen getrieben wird. Vorher ist uns schon das enorme Gepäck der Chinesen im Zug aufgefallen, fast alle Abteile sind dicht mit großen Bündeln vollgestopft. Nun sehen wir, was sich darin befindet: Dutzendweise Lederjacken und Kinderkleidung - im Abteilfenster wie in einer Vitrine dekoriert - werden durchs Fenster an die Russen verkauft. Ohne auf die Größe zu achten, wird alles erstanden, was geboten wird, denn man will es ohnehin weiteranbieten oder bringt es Bekannten und Verwandten mit, wenn es einem selbst nicht paßt. Während des gesamten Aufenthalts blüht dieser Schwarzmarkt, Arme recken sich empor, Rubelscheine und Kleidung wechseln den Besitzer. Auch wir werden gefragt, ob wir nichts zu verkaufen hätten. Die Chinesen verdienen bei diesem Handel teilweise so viel, daß sie sich die Rückreise von Moskau nach China mit dem Flugzeug leisten können. Die Russen sind aufgrund dieses Warenangebotes hier recht bunt gekleidet, was weiter entfernt von der Grenze nicht mehr der Fall ist und erst kurz vor Moskau wieder zunimmt. Die Frauen haben größtenteils dick Schminke aufgelegt und tragen Kopftücher, während die Männer fast alle mit Pelzmützen bekleidet sind. Einen entsprechenden Handel gibt es in der Mandschurei hinter der russisch-chinesischen Grenze, wo Russen Pelzmäntel und Hüte an Chinesen verkaufen. Während des Stopps wird in jeden Waggon vom jeweiligen Begleiter eine große Menge Kohlen geschaufelt, um den Samowar und die Heizung in Betrieb halten zu können.