Vom Menschenfeind zum Tierfreund

Die Strömung lässt zu, dass man sich über lange Passagen hinweg einfach treiben lässt. Aus Langeweile Urlaubspost schreibst du nicht mehr. Früher bautest du in deine Urlaubsgrüße Zitate aus deinen Büchern ein, um durch die Reaktionen darauf zu erkennen, wer von deinen Freunden deine Bücher liest. Wenn überhaupt jemand Reaktion zeigt, dann durch Reserviertheit, seit er deine Vorlieben für Illegales kennt. Du liebst immer noch solche Tests, legtest neulich im Zugabteil mit einer hübschen Frau eines deiner Bücher mit deiner Fotografie auf dem Buchrücken auf den Tisch. Wartetest, bist jemand sagt: „Das sind doch Sie?“ Doch die Hübschen fragen das nie. Schon früher waren es immer die falschen Frauen, die dir zum Spaß den Hut verrücken oder an den Brusthaaren zupften. Immer die, denen du keine Chance geben wolltest. Heute kannst du froh sein, wenn dir noch keine jungen Frauen beim Gepäck helfen wollen oder gar einen Sitz freimachen. Bei Schönheit gar nicht mehr zu reagieren, geschweige denn zu agieren – ist das die Genugtuung abgewrackter Männer?

 {{g_ads}}

Jetzt im Boot kramst du dein Adressbuch heraus. Blätterst darin. Diese Ansammlung von Hinz’ und Kunz’ ist so sehr Maß und Mitte, so gleichgesichtig, dass du sie oft nicht einmal mehr nach Männlein und Weiblein sortieren kannst. Du hast noch niemand getroffen, für den du sterben wolltest, das Glück hattest du nie. Dich kotzen alle an. Du kannst es kaum erwarten, dass der Entsprechende vor dir stirbt, versuchst ihn sogar dazu zu bringen. Du wartest geradezu auf Krebsdiagnosen jener Lebensabschnittsbegleiterinnen, auf die du dich nicht ernsthaft einließt. Du stellst befriedigt fest, dass Frauen, die dich verschmähten, jetzt ihre in die Achselhöhlen wuchernden, zelluliten Hüften vor Fettleibigkeit kaum bewegen können. Bist du überhaupt noch menschlich?

Das eigene Spiegelbild findet man oft noch passabel. Weit realistischer sind da Foto und Film. Du beginnst dein Foto im Reisepass zu betrachten. Zuerst denkst du, ein charmantes Lächeln, dann siehst du, das Lachen in den Augenwinkeln sei eher spöttisch, hochmütig und abweisend, aus Eigenliebe und einem Gefühl der Überlegenheit herrührend. Doch plötzlich stellst du eine Art Kummer fest, begleitet von einem Ausdruck tiefer Einsamkeit und einem vagen Entsetzen, eine gewisse Bitterkeit zeichnete sich darin ab. Dies ist bestimmt nicht das Gesicht eines Gewinners. Du hängst seit Jahren in der Warteschleife zum richtigen Leben, das nun hoffentlich bald losgeht. Gegenfrage: Mit wem? Weil du kaum noch platonische Freundinnen hast, kennt deine Erwartung an eine temporäre Gefährtin auch kein Maß. Es ist nie die Durchschnittsfrau, für die du dich interessierst.

Es ist noch nicht so weit, dass an den Orten, an denen du dich bewegst, die scheintoten Transvestiten dir keine Beachtung mehr schenken, noch nicht! Die allgegenwärtigen Adressentauscher, die dann irgendwann einmal in ‚Germany’ aufzutauchen gedenken, werden immer schäbiger. Deine noch nie stark ausgeprägte Anziehungskraft auf Frauen macht nun einer für Tiere Platz. Vor allem einäugige Katzen und dreibeinige Hunde, vor denen sich die Menschen ekeln, finden ihren Weg zu dir. Du selbst bist wie ein verletztes Tier, das jeder meidet. Eine Art humpelndes Wildschwein. Du liebst plötzlich Geckos, diese glucksenden Reptilien, die jedem Naturgesetz trotzend an der Zimmerdecke hängen und Moskitos jagen. Wie sollte man sie nicht lieben, diese lustigen, einsamen Jäger?