Heute gibt es einen sehr unschönen Zwischenfall, denn eine unserer Mitreisenden wird sehr ausfallend und unfair gegenüber Brigitte, die darüber völlig aus der Fassung gerät. Wir sind alle entgeistert über diese verbale Attacke. Die Frau hat offenbar einige psychische Probleme, die vermutlich auch mit ihrem ewig redenden und belehrenden Ehemann zu tun haben, der sich von morgens bis abends in Selbstbeweihräucherung ergeht und damit allen Mitreisenden und vermutlich auch der Frau gewaltig auf die Nerven geht. Wie auch immer, es war eine scheußliche Situation, und die arme Brigitte hat uns sehr leid getan, weil sie sich das so zu Herzen genommen hat. Wir haben versucht, ihr das Kreuz zu stärken und ihr das Gefühl zu vermitteln, daß wir geschlossen hinter ihr stehen. Endeffekt dieser Attacke war dann natürlich, daß sowohl die Frau als auch ihr Mann sich selbst ins Aus katapultiert haben, denn sie wurden fortan von der ganzen Gruppe gemieden. Auf solche Mitreisende kann man gerne verzichten.

 

In Klaipeda haben wir Zeit zum Bummeln und für die Mittagspause. Die Memel ist hier etwa 20 - 25 m breit. Ich flaniere mit einem Eis ein bißchen am Ufer und einige Straßen entlang. Schließlich fahren wir mit dem Bus auf die Fähre und setzen über auf die kurische Nehrung, die nur ein paar hundert Meter weiter auf der anderen Seite des kurischen Haffs liegt. Wir hatten dort ein Meer aus Sand mit einer Straße darauf und paradiesische Ruhe erwartet. Wie erstaunt waren wir, als wir fast 50 km weit durch dichten Wald fuhren bis Nida, das am Ende des litauischen Teils der kurischen Nehrung liegt. Diese seltsame Landbrücke, die kurische Nehrung also, ist ein Naturphänomen von etwa 100 km Gesamtlänge, wovon 50 km zu Litauen und 50 km zur russischen Enklave Kaliningrad (früher Königsberg) gehören. Die Nehrung ist zu 70 % bewaldet, der Rest ist Sand bzw. Sanddünen bis 60 m Höhe, die bis ins Meer reichen. 2.500 Menschen leben hier in mehreren kleinen Ortschaften hauptsächlich vom Tourismus. Die schmalste Stelle dieser Landbrücke ist nur 380 m breit, die breiteste Stelle 3,8 km. Das kurische Haff, also das Wasser zwischen dem Festland Litauens und der Landbrücke, ist der größte Binnensee Litauens. An manchen Stellen ist das andere Ufer nicht mehr erkennbar. Viele Gebiete der kurischen Nehrung sind als Naturschutzgebiete ausgewiesen und dürfen nicht betreten werden.

 {{g_ads}}

In Nida erwarteten wir Stille und Abgeschiedenheit. Von wegen! Als wir ankamen, waren Scharen von Menschen unterwegs, überall gab es Straßenlokale, Biergärten und Supermärkte. Jede Menge Fahrräder und Kinderbuggies flitzten herum, und von Stille und Einsamkeit war keine Spur. Ein Souvenirgeschäft reihte sich an das andere, und ich war ganz entsetzt. Aber ich entdeckte auch sehr schöne, gepflegte Holzhäuser mit wunderschönen Gärten voller Blumen. Vor allem prächtige Stockrosen gab es in allen Farben. Dazu eine wunderbar gepflegte Grünanlage und eine sehr lange Strandpromenade, die zum Flanieren einlud. Unser Hotel “Jurate” lag mitten im Zentrum des kleinen Ortes und war eine Überraschung der besonderen Art. Es war nämlich ein uraltes und von der Optik her sehr häßliches Haus mit vielen scheußlichen Nebengebäuden. Es gab keinen Aufzug, aber vier Stockwerke. Im Treppenhaus mit den vielen Steinstufen empfing uns ein widerlich muffiger Geruch, was mich doch ziemlich irritierte. Und dann die Zimmer! Ich fühlte mich schlagartig an die Jugendherbergen der 50er Jahre erinnert. Es gab uralte, abgewetzte Möbel und schäbige, teils löchrige, aber saubere karierte Decken auf dem Bett. Eine Funzel aus der Vorkriegszeit hing an der Decke, und die dünnen gestreiften Frotteehandtücher im Bad stammten vermutlich wirklich aus früheren Jahrzehnten. Es fehlte bloß noch ein ramponiertes Nierentischchen, um die Idylle perfekt zu machen.

 

Nachdem ich mein Zimmer belegt hatte, sauste ich in südlicher Richtung los, denn ich wollte unbedingt noch vor dem Abendessen auf die große Düne steigen und wußte, daß ich dafür 152 Holztreppen hochlaufen musste. Aber schon bis zum Fuß der Düne mußte ich 20 Minuten stramm laufen. Es war aber ein schöner Weg direkt am Ufer entlang, und schon von weitem konnte man diesen großen Sandberg sehen. Da es sehr warm war, fiel der Aufstieg nicht ganz leicht, aber schließlich war ich oben und hatten einen wunderbaren Blick auf diese Riesendüne aus weissem Sand, die auch die litauische Sahara genannt wird. Man soll die Düne selbst nicht betreten, aber daran hielten sich nicht viele. Mir reichte der Blick. Auf der anderen Seite der Düne lag die offene Ostsee im glitzerndem Licht der tiefstehenden Sonne.