Zweiter Tag    800 Höhenmeter sind zu schaffen

Als ich wach wurde brach gerade die Dämmerung herein. Meine Uhr hatte vor Tagen schon den Geist aufgegeben und so hatte ich keine Ahnung wie spät es war.

Man muss entweder sehr mutig oder ganz schön abgehärtet sein, um aus dem Schlafsack zu krabbeln und sich die über Nacht ausgekühlten Sachen überzuziehen. Ich weiß nicht was auf mich zutrifft, aber ich fand sogar den Mut eine kurze Hose anzuziehen. Beim Laufen wurde mir dann bestimmt ganz schnell wieder warm. Um den Körper aufzuwärmen packte ich meinen Packsack fertig, Probleme bereiteten mir dabei die selbstaufblasbare Liegematte und der Schlafsack. Beides bekam ich auf Anhieb nicht so klein zusammen gerollt, dass sie in die dazugehörenden Hüllen passten. Als ich fertig war, streckte ich erst mal meinen Kopf aus dem Zelt. Es war noch niemand zu sehen. War wohl doch etwas sehr früh. Die einzigen Geräusche, die zu mir herüberdrangen, kamen von den Feuerstellen, an denen die Köche das Frühstück zubereiteten. Besonders laut erwies sich das Schlagen der Rühreier in Blechschüsseln. Es dauerte auch nicht mehr lange, und ich bekam Gesellschaft. Es kehrte langsam wieder Leben in die Zeltcamps ein, die Gesichter, die zum Teil sehr zaghaft aus den Zelten blickten und die Nase in den Himmel reckten, sahen teilweise noch sehr müde und verschlafen aus. Einige brachten aber noch ein Lächeln über die Lippen, und sahen dem kommenden Tag voller Erwartungen entgegen. Noch vor dem Frühstück bauten wir unsere Zelte ab und stellten unsere Sachen für den Aufstieg bereit. Wir wollten als erste los marschieren, damit wir nicht im Gedränge der anderen Gruppen landeten. Schon gestern hatten wir Glück gehabt, dass keine der anderen Gruppen  vor uns den Aufstieg durch den Regenwald gemacht hatte, weil mit jedem, der vor einem ging, der Weg matschiger wurde. Die Südafrikaner hatten mir auch erzählt, wie schlimm es an manchen Stellen gewesen war, und ich war richtig froh, als sie mir erzählten, wann sie heute morgen losgehen wollten, und zwar eine halbe Stunde nach uns. So kam es, dass wir als erste Gruppe den „Camping-Platz“ verließen, und an den anderen vorbeizogen. Fast überall standen die Zelte noch, und zum Teil wurde noch gefrühstückt. Heute würde es wieder sehr schön werden, und trotz der morgendlichen Kälte war ich froh, dass ich eine kurze Hose trug.

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Wir wanderten an den Südafrikanern vorbei, und alle grüßten mich, und erinnerten sich sogar an meinen Namen. „Hi, Kerstin!“ und „Hallo, Schatz!“ schallte herüber. Wer das bloß war, und wo der das her hatte?! Finde ich nicht so gut, mich einfach so in Verlegenheit zu bringen, aber alle schienen ihren Spaß daran zu haben. Meine Leute drehten sich nach mir um und schauten mich vorwurfsvoll an, aber ich wusste wirklich nicht, wie der eine darauf gekommen ist. Ich wusste ja nicht einmal mehr ihre Namen. Damit habe ich sowieso schon immer meine Probleme gehabt, aber für mich waren es gestern abends neun neue Gesichter und Namen, während es für die anderen nur ein neuer Name und ein neues Gesicht war.

Am Anfang verlief der Weg schon sehr steil, und ich fühlte mich eigentlich nicht so fit, dass mich ich so früh am Morgen schon so abrackern musste. In der Nacht hatte ich so schlecht geschlafen und nur mit Mühe setzte ich nun einen Fuß vor den anderen. Wie sollte das bloß weitergehen, wenn wir erst einmal in Höhen kamen, wo auch die Sauerstoffkonzentration in der Luft abnimmt und das Atmen immer schwerer wird? Ich ging ganz langsam und konzentrierte mich auf das Ausatmen. Mit der Zeit wurden auch meine Muskeln warm und das Laufen fiel mir allmählich etwas leichter. War mir doch egal, wenn ich als letzter oben ankam, Hauptsache war doch, dass ich überhaupt ankam. So langsam bereute ich diese Schnapsidee, mal eben auf den höchsten Berg Afrikas zu wandern. Ich wusste auch nicht, warum ich unbedingt in diesem  Jahr den Traum verwirklichen musste. Hätte ich doch ruhig weiter davon träumen können. Und für diese Quälerei zahlte ich auch noch Geld!!!(ab und an hatte jeder von uns mal den Gedanken, dass wir eigentlich nicht ganz normal sein konnten, alle vernünftigen Leute fahren in den Urlaub, um sich zu erholen, und was machten wir? Schon Wochen vor der eigentlichen Erholungsphase rennen wir zum Gesundheitsamt, um uns gegen irgendwelche tropische Krankheiten impfen zu lassen und laufen nach der Spritze schon ermüdet und ermattet herum, während alle anderen Urlauber sich nur Gedanken machen über die neue Bademode und die eventuelle Abendgarderobe, die sie in den Urlaub mitzunehmen gedenken...) Wenigstens merkte ich von der Höhenkrankheit immer noch nichts.

 

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Die Vegetation wurde immer spärlicher je höher wir kamen, und ich nutzte jede Situation um die Veränderungen mit Photos festzuhalten. Es gab schon keine Bäume mehr in dieser Höhe, nur ab und zu hatte sich wohl ein Samenkorn dort oben hin verirrt und ein verkrüppeltes Bäumchen fristete ein armseliges Dasein. Dafür wuchsen hier viele Blumen und die Landschaft entschädigte die vielen Mühen bis dahin. Es war einfach unbeschreiblich schön, und ich machte viel mehr Photos als geplant. Vor uns tauchte immer wieder unser Ziel auf, Schritt für Schritt kamen wir ihm näher. Endlich hatten wir auch das für heute steilste Stück hinter uns und es ging auf dem Plateau entlang. Weit vorne vor uns konnte ich auch schon bald unsere Zelte sehen, Helmut, Thomas, Gabi und Eberhard waren die ersten, die angekommen waren und hatten schon die ersten Zelte aufgebaut. War ja klar, dass ich als letzte ankam, aber dafür hatte ich mehr vom laufen. Wir waren jetzt 3800 Meter hoch und die Sonne brannte hoch oben auf dem Shira-Plateau auf uns herab. Unser Zeltlager lag vor dem Wind ungeschützt auf dem Plateau und ich bereitete mich auf eine sehr kalte Nacht vor.