An der Strasse werden landwirtschaftliche Spezialitäten wie Honig, Zuckerrohr-Süssigkeiten, Guavenleckerli und sogar kleine Schweineöhrchen verkauft. Da sage ich nicht Nein. Und dann kommt doch tatsächlich noch so ein kleiner Bus an, wie wir ihn haben, und es steigen weisse Touristen aus. Es sind tatsächlich Deutsche, die ersten, die wir sehen.
 
Wir kommen an einem idyllischen Stausee vorbei inmitten der Küstenberge, dann verdunkelt sich der Himmel, es grollt ordentlich, und weiter fahren wir bei Regen die schmale Strasse bergan durch Nebelwald. Die Vegetation begeistert mich immer mehr. Sämtliche Bäume sind von Aufsitzerpflanzen überwuchert und hängen voll langer Flechten, die man auch Greisenbärte nennt. Es ist phantastisch.
 
Wir sind gerade auf einer kleinen Bio-Kaffeehacienda zur Besichtigung angekommen, als es heftig zu schütten beginnt. Da haben wir gerade noch mal Glück und ein Dach über dem Kopf gehabt. Die Kaffeeproduktion wird uns von der reifen Kaffeekirsche bis zum fertig verpackten Kaffee gezeigt und erklärt. Es duftet sehr verführerisch, aber der angebotene Kaffee ist dermassen stark, dass ich passe.
 
Unser heutiges Bett finden wir in Caripe im Pueblo pequeno auf 900 Metern Höhe, wo es auch Dank des Regens angenehm kühl ist. Eine wahre Wohltat nach der Dauerhitze bisher. Kaum haben wir unsere Zimmer bekommen, geht es auch schon weiter. Es ist schon dunkel, als wir nach einigen Kilometern bei der Höhle der Fettvögel abgesetzt werden. Diese besonderen Vögel hat Humboldt erstmals beschrieben, und er hat auch diese Höhle entdeckt, deren Eingang 26 Meter hoch und 23 Meter breit ist und von deren Decke schöne Stalagtiten herab hängen. Insgesamt ist diese Tropfsteinhöhle 10 Kilometer lang und zählt zu den bedeutendsten weltweit. Die Fettvögel leben aber nur in den ersten 500 Metern der Höhle, weiter hinten leben Fledermäuse. Weiter als 1000 Meter ist die Höhle für Besucher nicht zugänglich.
 
Die jungen Fettvögel oder Fettschwalme, die in Venezuela Guacharos heissen, haben, kurz bevor sie flügge werden, am Bauch und Hinterleib ein dickes Fettpolster, das früher bei den Indianern und später bei den Missionaren sehr begehrt war. Die jungen Vögel wurden zu Tausenden erschlagen, um das Fett zu gewinnen, das so rein ist, dass es selbst in der tropischen Hitze nach einem Jahr noch nicht ranzig wird. Heute ist das natürlich längst verboten, und das ganze Gebiet um die Höhle ist Nationalpark. Etwa 12.000 dieser etwa hühnergrossen Vögel mit einer Spannweite von einem Meter leben in dieser Höhle. Diese Fettvögel sind nachtaktiv und leben ausschliesslich von Früchten, vor allem von Palmfrüchten. Sobald es dämmert, fliegen sie in endlosen Scharen aus der Höhle heraus und suchen in kilometerweitem Umkreis ihre Fruchtbäume auf. Und genau dieses Spektakel wollten wir uns anschauen.