Tausende von Vögeln, vor allem grüne Papageien und Schirmvögel, fliegen krächzend über unseren Köpfen über das Wasser zu ihren Schlafbäumen. Es ist ein phantastisches Schauspiel, diese vielen Vögel in der Dämmerung zu beobachten. Der Himmel zeigt sich in wunderschönen Farb- und Wolkenspielen, während wir mit den Moskitos kämpfen, die sich nun blutrünstig auf uns stürzen. Da ich mit weitem Hemd und langer Hose gut geschützt bin, stechen mich die Biester scharenweise in den Kopf, als hätte ich keine Haare drauf. An den Hut hatte ich nicht gedacht. Mit Vollgas fahren wir im Dunkeln zur Lodge zurück.
 
Nach dem Abendessen fressen uns die Moskitos fast auf. Cilfredo zeigt uns auf seinem Laptop einen schönen Kurzfilm über die Tafelberge und den Angel-Wasserfall, und ich hätte gerne noch viel mehr seiner Anaconda-Fotos angeschaut. Letztes Jahr hatte er auf dem Hato el Cedral das seltene Erlebnis, eine grosse Anaconda zu beobachten, die während vier Stunden einen Rehbock verschlang. Es sind eindrucksvolle Fotos, aber die Moskitos sind derart penetrant, dass ich schliesslich wie die anderen auch nach draussen auf die grosse Plattform am Fluss flüchte, wo nicht ganz so viele sind wie drinnen im Licht.

 
Die meisten der Gruppe stehen auf der Plattform, und der Cuba Libre macht die Runde. Cilfredo ist heute besonders gut drauf. Irgendwer kommt auf die Idee zu singen. So singt jeder mehr oder weniger schlecht ein Lied, aber unschlagbar gut singt Cilfredo. Vom venezolanischen Kinderlied über Que sera bis zur Arie hat er alles drauf. Völlig unbeschwert und locker schmettert er mit schöner Stimme die Melodien in die Nacht. Ich sitze im Hängestuhl auf der Terrasse auf der anderen Flussseite und höre zu. Schliesslich gehe ich hinüber und sofort soll ich singen. Das ist aber nun gar nicht mein Ding, denn weder kann ich gut singen noch bin ich musikalisch. Schliesslich fällt mir „Lustig ist das Zigeunerleben“ ein, das wir dann alle gemeinsam singen. Auch das war wieder ein sehr schöner und erlebnisreicher Tag im Dschungel Venezuelas, diesmal im Orinocodelta. Ein kleiner Wermutstropfen bleibt auch heute: das nicht gesehene Faultier.

{{g_ads}}