Im Dunkeln kommen wir zu einer grossen Lagune, die etwa 30 m breit und 300 m lang ist. Diese Wasserstelle trocknet nie aus. Wir wussten zwar, dass wir auf Kaimanpirsch bei Nacht gehen würden, aber was uns jetzt tatsächlich erwartete, ahnte niemand von uns.
Wir hielten etwa 12 m vor der Lagune im Gras und stiegen aus. Ich ging in Richtung Lagune und starrte im Dunkeln auf das Wasser, um vielleicht schon leuchtende Kaimanaugen zu entdecken. Dann ging alles rasend schnell. Ein lautes Fauchen stoppte meinen Schritt und ich sprang instinktiv einen Satz zurück, als ich den grossen Kaiman direkt vor meinen Füssen sah, über den ich fast gestolpert wäre.
Mir fuhr der Schrecken in alle Glieder. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass diese Urzeitviecher hier im Gras liegen. Auf der anderen Seite des Jeeps sah ich Dutzende dieser grossen Kaimane auf uns zukommen. Ulli und Fabieme hielten sie mit langen Stöcken ein wenig auf Distanz. Wir waren umgeben von Mohrenkaimanen, die immer näher kamen und grunzten und fauchten. Sie wussten, was wir nicht wussten, denn Autoscheinwerfer bedeuten Futter. Und jetzt in der Trockenzeit sind die Tiere sehr hungrig, denn in den verbliebenen Wasserstellen gibt es fast keine Fische mehr. Und sie wissen, dass es Fisch gibt, wenn der Jeep kommt.
Fabieme hackte einen grossen Fisch in Stücke und warf sie den Kaimanen hin, die sich wild grunzend und schwanzschlagend darüber hermachten. Es war geradezu unheimlich und fast gespenstisch, hier im Dunkeln inmitten von Kaimanen zu stehen. Ich hoffte bloss, dass die den Unterschied zwischen Fischstücken und weissen Waden kannten…! Ich konnte gar nicht fassen, was ich da sah und kam mir vor wie im Film. Nie hätte ich gedacht, dass wir diese grossen Echsen so „hautnah" erleben würden.
Aber dann kam es noch aufregender. Wir gingen mit Taschenlampen um die Kaimangruppe herum zur Lagune, wo die Tiere dicht an dicht am Ufer lagen. Als sie uns bemerkten, glitten die an unserer Uferseite ins Wasser. Und dann bot sich uns ein gigantisches Schauspiel, das ich nie vergessen werde: Im Blitzlicht leuchteten unzählbare Augenpaare rot- und weissglühend dicht an dicht. Die ganze Lagune war voller Kamane, deren Augen das Blitzlicht reflektierte. Es waren Tausende Augen, die da funkelten, und ich musste an unsere Weihnachtsbeleuchtung mit den kleinen Glühbirnchen denken. Nur so schön und romantisch wie hier habe ich noch keine Deko gesehen. Es war total faszinierend und irreal und gleichzeitig unheimlich. Schliesslich, nach dem Dutzendsten Foto, gingen wir langsam zum Jeep zurück, wo die gefütterte Kaimangruppe immer noch wartete und keinerlei Anstalten machte, sich zurück zu ziehen. Wir mussten im Stockdunklen höllisch aufpassen, nicht aus Versehen auf so ein Tier zu treten.
Dann wurde der grosse schwenkbare Scheinwerfer eingeschaltet und die Lagune angestrahlt. Und das war ja wohl das Gigantischste, was ich bei Nacht je erlebt habe, denn erst jetzt sah man die ganze Grösse der Lagune und die Tausende von glühenden Augenpaaren an Land und im Wasser. Das muss man mit eigenen Augen gesehen haben, um es glauben zu können. Es ist so wunderschön und märchenhaft, dass man gar nicht auf die Idee kommt, dass diese herrliche Illumination ausgerechnet von Kaimanaugen stammt. Ein unbeschreibliches und unvergessliches Bild. Wir waren restlos begeistert und beeindruckt von diesem Erlebnis.
Übrigens kommen auf dieser Fazenda nur die grossen Mohrenkaimane vor, die bis zu 6 Meter lang werden können und die streng geschützt sind, weil sie wegen ihres wertvollen Leders erbarmungslos gewildert wurden. Wenn sie in der Trockenzeit in ihrer Lagune keine Fische mehr finden, wandern sie nachts über Land durch die Weidezäune hindurch zu anderen Lagunen, wo es vielleicht noch Futter gibt. Im Film habe ich das schon gesehen, wie sie zu Hunderten und Rücken an Rücken über Land wandern. Die Mohrenkaimane der Fazenda Sao José werden mir ewig unvergesslich bleiben.
Während der Weiterfahrt durch die rabenschwarze Nacht auf kaum sichtbaren Pfaden entdeckten wir noch ein fliehendes Gürteltier und einige Wasserschweine, die allerdings nicht mit den Schweinen verwandt sind, sondern die grössten Nagetiere der Welt und die Lieblingsbeute der Jaguare sind, die es auf dieser Fazenda natürlich auch gibt. Die Wasserschweine oder Capybaras sehen eher aus wie riesengrosse Meerschweinchen. Leider sind sie scheu, besonders jetzt, wo sie Junge haben.
Und dann fand Fabieme tatsächlich zwei Krabbenwaschbär-Babys, die herzzerreissend nach ihrer Mutter jammerten, deren Ablenkungsschrei Fabieme zuvor gehört hatte. Es kommt sehr selten vor, dass man Waschbär-Babys zu Gesicht bekommt, und unsere Fotos haben daher Seltenheitswert.
Nach dieser wahrlich aufregenden Nachtsafari bekommen wir wieder ein feines Abendessen, das wir in ausgelassener Stimmung geniessen. Plötzlich kommt ein unerwartet kalter und starker Wind auf, so dass die Windplanen vor unseren Freilufttischen runtergelassen werden. Nach der grossen Hitze des Tages ist jetzt eine Jacke willkommen.
Wieder ist frühes Zubettgehen angesagt, denn morgen früh um 7.30 Uhr werden wir schon auf den Pferden sitzen, um die Vaqueiros bei ihrer Arbeit zu begleiten.
In der Nacht regnete es kräftig, und am nächsten Morgen – Sonntag – war es stark abgekühlt. Immerhin regnete es nicht mehr, doch der Himmel war dunkel und wolkenverhangen. Die Chacalacas lärmten wieder in aller Frühe, was der Schnabel hergab, so dass wir nie einen Wecker brauchten. Schon um 5.00 Uhr morgens flogen die Gelbbrustaras laut kreischend über das Gelände, so dass man keine Mühe mit dem Aufstehen hat.