Peru Reisebericht:
Unter den Schwingen des Kondors
Eine Reise ins Andenhochland
Etwa vierzehn Stunden, einschließlich der kurzen Zwischenstops, dauert der Flug von München nach Río de Janeiro. Wie immer war das Einchecken in München und Frankfurt wieder einmal in letzter Sekunde erfolgt, aber nun sind wir froh, daß wir an Bord sind. Der Service bei der Fluglinie Varig ist längst nicht mehr das, was er einmal war, aber das gilt nicht nur für diese Gesellschaft, sondern allgemein im Luftverkehr. Als ob sie sich gegen den Fluggast verschworen hätten: enge Sitze, so daß selbst ein mittelgroßer Mann kaum seine Füße ausstrecken kann, fast ungenießbares Essen, gerade soviel zu trinken, daß es zum Verdursten zuviel, um seinen Durst zu löschen aber zuwenig ist. Gereizt wie ich bin, wäre es an Bord der Maschine fast zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einem der Passagiere gekommen, wenn nicht der Stuart dazwischengegangen wäre. Der Anlaß dazu war – worauf ich schon fast allergisch reagiere –, daß mein Vordermann seinen Sitz nicht senkrecht gestellt hatte, als das Essen kam, und ich, nachdem auch mein zweiter Hinweis ungehört blieb, dem allzu fühlbar nachgeholfen habe.
Als wir in Río ankommen, herrscht strahlend schönes Wetter, Temperaturen zwischen 25 und 30 Grad, ideal zum Baden also. Wie wir von unserem örtlichen Begleiter erfahren, blickt Río auf einen sehr heißen Sommer zurück, zwischen 35 und 40 Grad sollen es täglich gewesen sein. Auch das Hotel, in dem wir schon vor Jahren einmal abgestiegen sind, ist noch das gleiche, es ist direkt an der Copacabana gelegen; aber ansonsten hat sich nichts geändert. Der Strand ist heute stärker bevölkert als damals, und noch immer laufen die Jogger an der Uferpromenade entlang, mitten auf der Straße, die am Sonntag für den öffentlichen Verkehr gesperrt ist.
Auf der altbekannten Strecke, am Copacabana Palace, dem vornehmsten Hotel der Stadt, und am Meridien vorbei, geht es durch einige der zahlreichen Tunnels zum absoluten Muß Ríos, dem Zuckerhut. Die erste Seilbahn auf den Asucar, wie er in der Landessprache heißt, wurde 1912 von einem deutschen Unternehmen gebaut und war bis 1973 in Betrieb. Spektakulärer sind die Kletterführen, die sich hinaufziehen, denn der Berg ist auf allen Seiten von Steilwänden umgeben. Auch wenn die geringe Bewölkung ansonsten ideale Sichtbedingungen gewährt, ist der Ausblick aufgrund des starken Dunstes wieder einmal nicht optimal. Der Panoramablick, den man auf der Spitze des Zuckerhuts besitzt, ist einfach zu traumhaft, als daß man irgendwelche Einschränkungen zu akzeptieren bereit ist; ich verzichte daher auf ein Photo. Einen gewissen Ersatz für das Entgangene bietet, daß man den Flugzeugen über der Guanabara-Bucht bei ihrem Landeanflug zusehen kann oder beim Start, wenn sie raketengleich im Steilflug über den Zuckerhut hinwegschießen. Daß der Zuckerhut geologisch genau zu den Verwitterungserscheinungen in Angola paßt, liefert, nebenbei bemerkt, einen Beweis für Alfred Wegeners Theorie von der Kontinentaldrift.
Die neue Kathedrale Ríos wurde von Oskar Niemeyer entworfen, dem großen Architekten Brasilias. Sie gleicht einem Kegelstumpf, dessen Inneres einer Zwölfteilung unterzogen ist, jedes vierte Zwölftel ist mit Glasfenstern ausgelegt. Das Gewölbe zeigt die Form eines regelmäßigen Kreuzes.
An den Ständen der Stadt wird ein sehr erfrischendes Getränk verkauft, und zwar Guaranasaft, der aus einer Wurzel des Amazonasgebiets gewonnen wird. Es schmeckt ähnlich der Coka-Cola, jedoch nicht ganz so chemisch.
Obwohl ich die Aussicht vom Corcovado kenne, der mit 704 m höchsten Erhebung in der direkten Umgebung der Stadt, bin ich doch wieder der Versuchung erlegen, sie genießen zu wollen, und es war wieder genauso dunstig wie damals. Durch die zahlreichen Morros, jene abgeschliffenen Granitkegel, die gegen ihre Umgebung überaus hoch sind, darunter der dem Zuckerhut zum Verwechseln ähnliche Zweibrüderberg, fällt ständig irgendwo Schatten ein, egal wie die Sonne steht. Der höchste dieser Morros, der sowohl vom Zuckerhut als auch vom Corcovado aus zu sehen ist, steht nicht direkt bei der Stadt, sondern in einiger Entfernung zu ihr, und das Besondere an ihm ist, daß er rundherum Überhänge besitzt. Man darf nun mit seiner Phantasie nicht nachlassen, braucht sich nur sämtliche Plattenbauten wegdenken, um sich eine Vorstellung davon zu machen, wie diese traumhafte Landschaft in aller Unberührtheit einmal ausgesehen haben mag, ehe die Portugiesen kamen. Dazu muß man sich wirklich klare Sicht wünschen, und ich wüßte nicht, wann es diese gibt oder ob es sie jemals gibt. Und dann wäre die Versuchung groß, alle Morros der Umgebung auf Erstbegehungswegen zu ersteigen. Wie Rutschbahnen, so glatt, sind die schwarzen Felswände zum Teil, und uns bleibt bis heute unbegreiflich, wie man sie, ohne lange nach einer Führe Ausschau zu halten, überhaupt bezwingen kann.
An den Stränden frönen die Menschen ihren Leidenschaften, als da sind: Drachen- und Gleitschirmfliegen, Wellenreiten, Kokosmilch trinken, in der Brandung stehen oder einfach nur an den kilometerlangen weißen Sandstränden in der Sonne liegen. Schön müßte es sein, zu einer der vorgelagerten Inseln hinüberzusegeln, die nichts anderes sind als ebenfalls Morros, nur eben etwas tiefer liegende, im Meer versunkene; sie alle stehen unter Naturschutz.
In der Nähe des Sheraton, am Leblon, befinden sich zahlreiche Stundenhotels mit teilweise illustren Namen, z.B. Sinless, d.h. sündenfrei, u.a. Hier treffen sich der Chef mit der Sekretärin, der Ehemann mit seiner Geliebten sowie alle, die ihre Liebe versteckt halten müssen.