Die Pkw haben es da leichter, sie können umkehren. Selbst der Reiseleiter, der sonst immer markige Worte in den Mund genommen hat, ist verstummt. Mich persönlich reut es jetzt, daß wir keine Vorräte und nichts zum Trinken eingekauft haben, Essen wäre jetzt eine angenehme Überbrückung. Einige, zu denen auch ich zähle, reißen makabre Witze. Als der Weg freigeschaufelt ist – drei Stunden hat es gedauert – ist uns zur Wahl gestellt, die steinschlaggefährdete Schneise entweder zu Fuß zu umgehen oder im Fahrzeug sitzenzubleiben. Die weitaus meisten folgen meinem Beispiel und waten zu Fuß durch die Schlammassen, stets in sicherem Abstand zur Gefahrenzone. Mit total verdreckten Stiefeln – manche tragen nur loses Schuhwerk – gelingt uns ein Hinüberkommen. Auch das Fahrzeug kann unbeschadet queren. Die anschließende Fahrt auf schmaler, jedoch teilweise befestigter Straße verläuft wirklich abenteuerlich. Ein Fußbreit daneben und wir lägen alle in der Schlucht. Dichte Wolken stauen die Feuchtigkeit, und obwohl wir schon über 1000 m an Höhe gewonnen haben, ist es ordentlich schwül. Tausendfältig verschiedene Pflanzen machen der sprichwörtlichen Grünen Hölle alle Ehre. Und schon stehen wir vor dem nächsten Erdrutsch. Dieser währt jedoch nicht lange. 
    Schließlich, nachdem wir das Schlimmste hinter uns haben, kommen wir ins Gebiet der Menhire, die etwa ins 8. Jahrhundert n. Chr. datieren. Diese geheimnisumwitterten Monolithen können bis zu 3,50 m hoch sein. Einige der Menhire weisen eingemeißelte Gesichter auf. Es handelt sich bei dieser Megalithkultur um ein unbekanntes Volk, welches hier in prähistorischer Zeit ein astronomisches Zentrum errichtet hat, das vor allem der Beobachtung der Planetenbewegung diente. Über die wahre Bedeutung weiß man jedoch nichts Genaues, man ist auf reine Spekulation angewiesen. 
    Mittlerweile haben wir die Baumgrenze erreicht, wo der Regenwald durch eine Grasbüschellandschaft abgelöst wird. Agaven und Säulenkakteen (Trichocereus) sind das Charakteristische dieser Landschaft. Die gelbblütigen Berberitzen bzw. Beisselbeeren stehen gerade in voller Blüte, auch die Yuccapalmen blühen. Am Stausee von El Mollar besitzen viele Stadtbewohner Wochenendhäuschen, in die sie entfliehen, wenn in Tucumán unerträgliche Temperaturen herrschen. Die Straße passiert in etwa 2500 m Höhe eine archäologische Stätte, die allerdings noch nicht ausgegraben ist, die aber als das Wohngebiet derer gilt, welche die Menhire aufgestellt haben. In geographischen Breiten wie dieser ist selbst in diesen Höhen noch Ackerbau möglich, die Nähe zum Äquator gleicht die Höhe aus. Hier reift der Mais bis auf 3800 m, die Kartoffel gedeiht noch in über 4000 m Höhe. Die Gegend, die jetzt kommt, heißt Abra del Infiernillo, die Paßhöhe liegt auf 3042 m über dem Meeresspiegel. Das Gestein steht dort in Sedimenten an; auch Tuffgestein, unter Druck geratene Vulkanasche, trifft man häufig an, da mit der Gebirgsbildung der Anden ein gewaltiger Vulkanismus einherging. 
    Bald machen wir Bekanntschaft mit den ersten Lamas und Alpakas, die beide mit dem Kamel verwandt, jedoch kleinwüchsiger sind. Diese Tiere scheinen es zu lieben, wenn man ihnen einen Nasenkuß gibt. Die bunten Fäden, welche sie durch die Ohren gezogen haben, dienen dem Besitzer als Erkennungszeichen. Es gibt zwei Wildformen, das Vicuña und das Guanako. Es ist strengstens verboten, Vicuñas abzuschießen, denn beinahe wäre diese Art ausgerottet worden. Nach Überschreitung des Tafi del Valle zeichnet sich vor unseren Augen bereits das Tal des Río Santa María ab, das um diese Jahreszeit allerdings ziemlich trocknen ist. Dort bekommen wir den ersten Kondor zu Gesicht. Trotz seiner 3,50 m Flügelspannweite ist nicht er der Vogel mit den breitesten Schwingen, sondern das ist der Albatros mit vier Metern.

Von Inkas umgeben

    In Quilmes lebte ein Indianervolk – 25000 Menschen stark –, welches hier schon im Jahre 1000 n. Chr. ansässig war, in einer stadtähnlichen Anlage mit Mauern und Festungswerken. Den Inkas gelang es nie, die Stadt zu erobern. Selbst die Spanier brauchten viel Zeit, um Quilmes einzunehmen. 
    Quilmes ist für uns der erste Höhepunkt auf dieser Reise, Río und die Iguaçu-Fälle nicht eingerechnet. Man hat sich die archäologische Stätte etwa wie folgt vorzustellen: Strategisch überaus günstig gelegen, schmiegt sich die Stadt harmonisch an einen Bergrücken, der von zwei Seitengipfeln flankiert wird. In einem Halbrund fügt sie sich zwischen die zwei Festungshügel ein, mit dem Rücken an die Felswände gelehnt, terrassenartig untergliedert nach Art eines Amphitheaters, dessen Sitzreihen den Terrassen entsprechen, und wie zu mehreren Stockwerken übereinandergesetzt. Beide Kuppen sind mit Wehranlagen überzogen, der Fortaleza del Norte und der Fortaleza del Sud. Auch auf dem zentralen Bergkegel hat man Festungsanlagen gefunden. Die Stadt gleicht somit einem uneinnehmbaren natürlichen Bollwerk. Die äußere Befestigung ist an die 4 ½ km lang. Eine unterirdische Wasserleitung führte einstmals aus den nahegelegenen Bergen frisches Quellwasser heran, so daß die Inkas, die nicht verstehen konnten, daß Wasser nicht von der Stelle geschöpft wird, wo die Ansiedlung liegt, sich wunderten, wie die Eingeschlossen so lange durchhalten konnten, und die Belagerung schließlich aufhoben. Ringsum war Quilmes von feindlichem Inka-Gebiet umgeben, aber seine Eroberung blieb den Spaniern vorbehalten, die die letzten hier noch ansässigen Familien verschleppten. 
    In meinem Tatendurst stürme ich in der kurzen Zeit, die wir uns für die Besichtigung vorgenommen haben, hinauf auf die Fortaleza del Norte, wo sich mit steigender Höhe ein immer grandioserer Blick auf das unter uns liegende Ruinengelände eröffnet, eine Sicht wie aus der Vogelperspektive. Das Wettergeschehen hat sich zu einer märchenhaften Szenerie gewandelt, bizarre Erosionsformen, die in allen Farben leuchten, und die phantastische Welt der Riesenkakteen, die selbst vor dem Ruinengelände nicht halt machen, tun sich unter uns auf. Das glitzernde Gestein besteht aus Hornblende, Mauern und Gebäude sind aus ebendiesem Naturstein gebaut, durch Mörtel miteinander verbunden, und man darf nun seiner Phantasie freien Lauf lassen, um sich vorzustellen, wie diese majestätische Anlage einmal ausgesehen hat, bevor die Spanier sie eroberten. Es ist ein wahrhaft erhabenes Gefühl, dieses zu erleben, und allein dafür hätte die weite Reise sich schon ausgezahlt. Ach! bliebe uns doch nur etwas mehr Zeit zum Verweilen, zum Nachdenken und zur Besinnung. Doch wir hasten weiter, einem vagen Ziel entgegen, als läge die Welt schon morgen begraben.