Nach einem erquickenden Schlaf fühlen wir uns am nächsten Morgen topfit, gerade das Rechte, um Río auf den Kopf zu stellen. Doch was tun, wo die Stadt außer seichten Vergnügungen nur wenig Ersprießliches bietet? Gewiß nicht sinnvoll wäre es, sich an der Copacabana die Sonne aufs Haupt scheinen zu lassen oder in der prallen Sonne herumzulaufen, wie es die Brasilianer tun, speziell die weißen. In Río leben nämlich 40 % Weiße, ein verhältnismäßig hoher Anteil im landesweiten Vergleich, und deren besonderes Vergnügen scheint es zu sein, es an Körperbräune ihren an die Sonne gewöhnten farbigen Landsleuten gleichzutun. Ohnehin schlecht gegen die intensive UV-Strahlung gewappnet, sorgen sie mit Fleiß dafür, daß ihre häßlichen Pigmentflecken noch zahlreicher in Erscheinung treten, ihre kalkfarbene Haut noch runzliger wird, zumal sie offenbar neidvoll auf diejenigen blicken, welche die Natur mit einem kakaobraunen Teint ausgezeichnet hat. Wie sehr hat sich doch das Schönheitsideal gewandelt! Überhaupt hat Río sich seine Traditionen bewahrt. Ehrgeizig hecheln schon am frühen Morgen die Schönsten der Schönen, schweißgebadet und halbnackt, die Uferpromenade entlang, um nur ja nicht in den Verdacht zu geraten, es handele sich bei ihnen um Nichtstuer. Man muß sich wirklich fragen, ob der Mensch dazu berufen sei, in seiner ganzen Häßlichkeit sein Ebenbild, den Schöpfer, beleidigen zu wollen, indem er seine sämtlichen körperlichen Mängel in solch schamloser Weise zur Schau stellt und andere dazu zwingt, sich diese anzusehen. Und es sind in der Tat fast nur Hellhäutige, die sich das erlauben. Wenn nicht diese unerträgliche Hitze herrschen würde, könnte man die Zeit sinnvoller durch Wanderungen überbrücken. So versuchen wir uns denn, während die anderen am Strand verbleiben, im Schatten der Häuserschluchten in Richtung Stadtzentrum vorzuarbeiten, lediglich mit einer Flasche Wassers bewaffnet, dessen man bei den ständig steigenden Temperaturen reichlich bedarf. Unser Ziel ist der Zuckerhut mit seinen idyllisch um ihn herum gruppierten Badestränden. Es ist angesichts der getrunkenen Wassermenge zwingend erforderlich, wenngleich fast aussichtslos, öffentliche Bedürfnisanstalten ausfindig zu machen, es gibt sie schlichtweg nicht. Allerorts steigt einem der Geruch von Urin in die Nase, und genau das, diese mangelnde Hygiene, macht die Stadt so unerträglich, aber es hat den Vorteil, daß es noch zusätzlich zur Hitze den Appetit vertreibt.
Am Ende der Copacabana angelangt, erkunden wir den "Weg der Fischer", an dem die Einheimischen ihrem Angelvergnügen nachgehen. Ich kann aber nicht erkennen, daß irgendeiner einen gewaltigen Fang gemacht hätte. Im Anschluß daran geraten wir unvermutet auf Kasernengelände, wo wir von den Soldaten mit ruhigen, aber bestimmten Worten des Platzes verwiesen werden. Um weiterzukommen, bleibt es uns nicht unbenommen, durch einen der vielen Tunnels zu schreiten, in denen der Fahrzeuglärm das einzige ist, was stört. Am Ende der Röhre erreichen wir in wenigen Minuten, am Yachtclub vorbei, die Talstation der Seilbahn auf den Zuckerhut, wo wir bereits tags zuvor waren. Hier am Platz befindet sich anscheinend eine Militärakademie, wo stolze Uniformen und noch stolzere Gesichter – die einzig stolzen, die ich im ganzen Land gesehen habe –, an eine längst vergangene Tradition anknüpfen. Meines Wissens ist aber Brasilien mit Ausnahme eines Grenzkonflikts mit Paraguay nie in Kriegshandlungen verwickelt gewesen. An dieser Akademie beginnt die Pista Cláudio Courtinho, ein in den Vorberg des Zuckerhuts getriebener Uferweg, der offenbar für die körperliche Ertüchtigung der Offiziersanwärter angelegt wurde und daher der Öffentlichkeit nur begrenzt zur Verfügung steht. Es sind wiederum fast nur hellhäutige Brasilianer, die sich hier mit schweißgebadeten Körpern bei 35 Grad im Schatten abstrampeln. Wie fast alle Angehörigen eines Industrielandes leiden auch die Brasilianer auffallend an Übergewicht, so daß sich bei vielen Männern auf der Brust bereits Ansätze weiblicher Formen entwickeln. (Müssen uns Menschen mit einer solchen Behinderung nicht leid tun?) Am Ende des Weges, wo dieser jäh aufhört, steht man unerwartet vor einem Turm. Die Aussicht auf die vorgelagerten Inseln ist traumhaft und der Spaziergang durch eine urwüchsige Tropenflora nach soviel Stadtluft trotz der drückenden Schwüle erholsam. Von unseren Städten sind wir es gewohnt, daß die Kirchen als Häuser zu Ehren Gottes alles andere überragen. In Río wie auch in den meisten anderen Metropolen Südamerikas verschwinden sie hingegen, wie David hinter Goliath, zwischen sie um ein Vielfaches überragenden Wolkenkratzern.
Etwas enttäuscht sind wir, daß es uns nicht gelungen ist, in Río eine e-Mail zu verschicken. Das Handy funktioniert hier nicht, und das Internet scheint für die meisten Brasilianer noch immer ein Fremdwort zu sein. Als wir dann endlich ein Café gefunden haben, scheitert unser Einwahlversuch daran, daß wir uns nicht auf portugiesisch verständigen können. Mit Englisch kommt man nämlich hier kaum durch. Schade! denn in einem der mondänen Einkaufszentren der Stadt, wo die "Upper class" verkehrt, haben wir Frauen gesehen, so schön, daß es einem den Schlaf raubt.
Am Abend verlassen wir Río; unter uns liegt das Lichtermeer der Stadt. Der Himmel ist noch immer wolkenlos, soweit das Auge reicht. Als ich durch das Bullauge nach draußen blicke, sehe ich unvermutet das Kreuz des Südens, und ich werte es als ein gutes Zeichen. Kaum sind vierzig Minuten verstrichen, als sich unter uns die Lichter von São Paolo abzeichnen, unendlich an Zahl. Nach einem kurzen Zwischenstop geht es erneut in den nächtlichen Sternenhimmel nach Foz Iguaçu, wo wir kurz vor Mitternacht ankommen, zum Umfallen müde.