Lapislazuli holte man aus Chile, Amethyst aus Brasilien, Bergkristall aus Kolumbien und Perlen aus dem Ozean. Feinziselierte Goldeinlegearbeiten, Totenmasken aus hauchdünnem Blattgold und goldene Trinkgefäße sind nur einige Beispiele der vielen Arten von Schmuck und Gebrauchsgegenständen, welche man hier bewundern kann. Auch Tongefäße, die man fand, Schnitzereien und Waffen der Indios aus Stein wurden hier zusammengetragen, bearbeitet mit Obsidian, dem härtesten aller Gesteine. Mumien, präpariert wie im alten Ägypten, denen man Innereien und Muskeln herausschnitt, ehe man sie einbalsamierte, wurden aufrecht hockend unter Beigabe allen Schmucks bestattet. Es war den Inkas geläufig, Menschen den Schädel zu öffnen und das Loch wieder mit einer goldenen Platte zu verschließen. Dies geschah unter Vollnarkose nach Verabreichung betäubender Säfte aus bestimmten Pflanzen. Die Art und Weise, wie die Indios es verstanden, Gold und Platin zu verlöten, ist immer noch unbekannt. Ich glaube nicht, daß alle Fragen, die sich bis heute stellen, hinreichend geklärt sind, und je eingehender man sich mit der Kultur der Inkas beschäftigt, desto mehr Fragen tauchen auf. Neben diesen Goldfunden birgt das Museo de Oro noch andere Sammlungen, wie etwa Keramiken, Teppiche sowie eine Waffensammlung, die nicht nur Waffen, die auf dem südamerikanischen Kontinent in Gebrauch waren, beinhaltet, sondern auch solche aus aller Welt.
Im Goldmuseum ist neben Keramikfunden der Inkas auch eine umfangreiche Sammlung alter Keramiken anderer Kulturen ausgestellt: der Mochica, Nazca und Chimú. Alle diese Völker haben Vasen und Gefäße mit unvergleichlichen Darstellungen ihres reichhaltigen Sexuallebens geschaffen, das hinter dem, was heute in Pornofilmen gezeigt wird, nicht zurücksteht. Im Gegensatz zu den Sexualvorstellungen anderer Völker, wo hauptsächlich die weiblichen Geschlechtsorgane verehrt wurden, ist es bei diesen Kulturen so gut wie ausschließlich der Phallus, welcher in den Darstellungen hervorgehoben wird. Überdimensionale Phallen in Gefäßform, mit Hoden so groß, daß man einen Tennisball darin unterbringen könnte, geben allerlei Rätsel auf. Zur geschlechtlichen Befriedigung wird man diese wohl kaum benutzt haben, zumal Exemplare von der Größe eines Pferdepenis darunter sind, aber ausgeschlossen werden kann auch das nicht, zumal man ja den Ton mit Fett geschmeidig gemacht haben könnte. Die Darstellungen der Geschlechtshandlungen wirken auf den ersten Blick schockierend, da sie so gut wie alle sexuellen Verirrungen zeigen: Sex mit Tieren, Sex zu dritt und zwischen Männern. Eine ausgesprochene Vorliebe scheinen die Inkas und andere präkolumbianische Kulturen für orale Spielarten besessen zu haben, Fellatio und Cunnilingus sind beliebte Varianten, und in den meisten Fällen sind die dargestellten Penisse überdimensional groß. Wir sehen Gefäße, bei denen die Harnröhrenöffnung beinahe die einzige Öffnung darstellt, so daß, falls aus diesen Gefäßen getrunken oder geraucht worden sein sollte, dies nur durch Saugen an einem künstlichen Penis möglich gewesen ist. Auch hingebungsvoll modellierte Vaginas dienen bei manchen Vasen als Austrittsöffnung. Es gibt dosenartige Gefäße, die sich nur über eine Steckverbindung aus Penis und Vagina schließen lassen. Das Angebot an Liebesstellungen reicht von der sogenannten Missionarstellung über die Rittlings- und Von-hinten-Stellung bis zur 69er-Position, ja selbst die Flanquette ist kunstvoll ausgeführt wie im Kamasutra. Man sieht also, daß den Inkas und deren Vorgängern keine noch so ausgefallene Spielart und Perversion unbekannt gewesen ist, und wir haben Besucher gesehen, die durch diese Ausstellung wie durch einen Sexshop gepilgert sind. Ob diese Praktiken dem einen oder anderen Anregung verschafft haben oder ihm zur Nachahmung empfohlen werden können, steht nicht in unserem Ermessen, aber mit Sicherheit können wir sagen, daß auf die von mir geschilderten Details von unserer lokalen Reiseleiterin mit keinem Wort eingegangen wurde, wahrscheinlich weil doch einige unserer Reisefreunde peinlich berührt worden wären, was wir hinreichend auch an uns selbst feststellen konnten.
Mit einer Stadtrundfahrt durch Lima beschließen wir unser Besichtigungsprogramm. Der einzige Stadtteil, in dem Europäer in halbwegs vertrauter Umgebung leben können, ist der "mondäne" Vorort Miraflores mit seinen modernen Einkaufsstraßen und Hochhausbauten. Am Hochufer der Steilküste befindet sich der sogenannte "Liebespark", wo die Statue eines privaten Spenders, die ein Liebespaar zeigt, inmitten von Grünanlagen steht. Durch das Botschaftsviertel mit zum Teil recht pittoresken Gebäuden gelangen wir in die Innenstadt, dem einzig sehenswerten Teil von Lima, wo noch schöne Fassaden mit geschnitzten Holzbalkonen, die auf engstem Raum in der Nähe oder um die Plaza gruppiert sind, und reich geschmückte Kirchenbauten die Kolonialzeit überdauert haben. Die Kirche San Francesco ist innen im maurischen Stil gehalten, wobei die Wände abwechselnd rot-weiß bemalt sind. Die Kathedrale dient heute nur mehr als Museum. Vor dem Regierungspalast findet täglich um zwölf Uhr die Wachablösung statt. Durch mehrere am heutigen Tage stattfindende Demonstrationen gestört, ist die Stadt einigermaßen in Aufruhr. Die Polizei hat alles hermetisch abgeriegelt. Eine weitere, nicht zu übersehende Demonstration der Macht stellt das Reiterstandbild Francisco Pizarros dar, des Eroberers von Peru, der in stolzer Haltung, hoch zu Roß, mit gezücktem Schwert und in voller Rüstung zum erzbischöflichen Palast, seinem ehemaligen Wohnsitz, hinüberzublicken und der glorreichen Vergangenheit Spaniens nachzuhängen scheint. Der ehemalige Schweinehirte Pizarro hat es bis zum Vizekönig gebracht, weil er dem König ergebener war als beispielsweise Hernan Cortez. Warum nur hat Spanien seine Kolonien nicht behaupten können? Was waren die Gründe, daß dieses einstige Weltreich zerbrach? Sicher nicht nur die große Entfernung zum Mutterland. Wohl aber wuchs eine neue Bevölkerung heran, die sich nur zur Hälfte mit ihrer weißen Vergangenheit identifizieren konnte, die andere Hälfte blieb indianisch. So gleicht der Mestize dem Indio wie dem Weißen, klein von Gestalt und gedrungen, überwiegen je nach Erbgewicht bei dem einen die indianischen, beim anderen die europiden Züge. Wirklich schöne Menschen findet man unter den Mestizen kaum, und falls doch, so sind es die mit den uns vertrauten Gesichtszügen.
Die Vororte der Hauptstadt sind verdreckt, die Fassaden heruntergekommen; in den Straßen dampft es von Urin, öffentliche Bedürfnisanstalten gibt es kaum. Sämtliche Häuser sind umzäunt, haben vergitterte Fenster oder sind von hohen Mauern umgeben. Es ist aber nicht allein die Armut, warum alles verfällt und verkommt, es liegt auch an der Mentalität der Menschen, gerade soviel zu einer sauberen Umwelt beizutragen wie unbedingt nötig. Dennoch sind die Menschen der Hauptstadt noch relativ am saubersten. Was uns jedoch gar nicht einleuchten will ist, wie diese sich die Nachfahren der Inkas nennen können, eines geistig wie kulturell hochstehenden Volkes, das all unsere Bewunderung verdient.
Nachruf
Im Rückblick auf die vergangenen vier Wochen sehen wir eine Abfolge von Bildern verschiedenartiger Eindrücke vor uns, mit gemischten Gefühlen. Am wenigsten sind es die Menschen, die es mir angetan haben, zu stolz und zurückhaltend einerseits, zu sehr bettelnd und aufdringlich andererseits, als daß sie mich in ihren Bann ziehen könnten. Es liegt eine Kluft zwischen ihnen und uns, wie sie einst zwischen den Spaniern und den Indios gelegen hat, und der, der weiß, wie man sie überbrückt, möge sich glücklich schätzen. Insgesamt acht Zwischenfälle und Übergriffe mußten wir in dieser Zeit über uns ergehen lassen, Raubüberfälle und Diebstähle, geringfügige Delikte, wie manch einer sagen würde, bedingt durch die große Armut. In Südamerikas Metropolen ist ein menschenwürdiges Leben nicht möglich, geschweige denn auf dem Lande, wo es nahezu an allem fehlt, wo selbst kulinarische Köstlichkeiten ein fremder Begriff sind. Nur der Kondor, der hoch in den Lüften über den Anden seine unermüdlichen Kreise zieht, weiß, wo in einsamen Berggegenden die letzten Inkas ihren aussichtslosen Kampf auf verlorenem Posten führen.
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