Der Bahnangestellte, der dazu die Weichen stellt, fährt mit dem Zug mit und springt an jeder Kehre auf und ab. Nachdem wir auf diese umständliche Weise eine Paßhöhe von 3600 m erreicht haben, verläuft die weitere Strecke ab dort nur noch ständig bergab, bis wir auf einer Höhe von 2400 m über Normalnull angelangt sind. Machu Picchu, das, wie wir oben gesagt haben, mit Bussen erreicht werden kann – wer Zeit und Muße hat, sollte es sich jedoch nicht nehmen lassen, den Aufstieg zu Fuß zu bewältigen –, liegt nochmals gut 400 m höher. Durch ein Seitental eines Zuflusses des Río Urubamba führt die Trasse stets am orographisch linken Ufer durch tiefe Schluchten, die der Bach durch das alluviale Gestein des Altiplano gefräst hat, bis wir den eigentlichen Río Urubamba erreichen, dessen weiterem Verlauf wir nun bis Agua Calientes folgen; sein Name rührt daher, daß es an diesem Ort warme Quellen – zum Teil kochend-heiße – gibt. Fast unbemerkt wechselt nun, je tiefer wir kommen, die Hochlandflora mit der des Amazonas-Tieflands ab. Opuntien und der nicht endemische, gerade in voller Blüte stehende Ginster begleiten uns auf unserer wildromantischen Fahrt, immer am Ufer des Río Urubamba, eines Nebenflusses des Río Ucayali, entlang. Das junge alluviale Gestein ist nun durch gewachsenen, massiven Granit abgelöst worden, aus dem die Cordillera Vilcanota besteht, jene Berggruppe, zu der auch Machu Picchu gehört, das hoch über einer Flußschleife liegt. Der Artenreichtum ist nunmehr auf das Zehntausendfache angestiegen, und der Zug fährt, von tosenden Wassern begleitet, die das Herz eines jeden Kayakfahrers höher schlagen lassen, durch eine überwachsene grüne Pflanzenhölle am Rande eines undurchdringlichen Dschungels. Es geht durch Tunnels und unter Felsüberhängen hindurch, und immer tiefer fährt unser Zug in eine Welt der Schatten und der Nebelschwaden hinein, aus denen leichter Sprühregen tritt. Selbst die schwarzen senkrechten Felswände scheinen jetzt von Pflanzen überwachsen, während am Bahndamm ein Meer von Blumen prangt, die in den grellsten Farben leuchten. Der zunächst schlammig-braune Urubamba stürzt nun über Felsblöcke hinunter, die ihn in eine einzige weiße Gischt verwandeln. Bedrohlich und düster wirkt diese immergrüne Amazonashölle, während das rhythmische Geräusch der Lokomotive auf die Seele wirkt, als ginge die Fahrt ins Ungewisse. Was zunächst noch wolkenverhangen aussah, wird rasch heller, und die Nebel reißen auf, als wir, in Busse umgestiegen, uns in vielen Serpentinen hinaufschlängeln zu der oben thronenden Festung, die erst 1911 entdeckt worden ist, auf der Suche nach Vilcabamba. 1912 wurde dann von Cuzco aus das Schienennetz verlegt, und zuerst hat sich ein dampfendes Stahlroß den Weg vom Hochland herab durch den Regenwald gebahnt, als die Welt von einer sensationellen Entdeckung erfuhr, einer auf unzugänglichen bizarren Felsen gelegenen Inkastadt. Es ist wahrlich der Höhepunkt unserer Reise, als wir fassungslos vor dem stehen, was wir bisher nur von Postkarten her kannten: eine vollständig erhaltene Stadt mit Häusern, Tempeln, Wasserleitungen und einem Observatorium, Sonnen- und Mondheiligtum zugleich. Jedem, der dies zum erstenmal sieht, wird der Atem stocken, das ist gewiß, denn hier ist alles einzigartig: die tiefen Abgründe, der Blick in das wilde, schauerliche Tal des Río Urubama, der Blick auf den ehemaligen Vulkanschlot Huayna Picchu und der Blick auf die zum Greifen nahen, gezackten und unglaublich hoch wirkenden, schneebedeckten Kordillerengipfel, die die Hunderte von Metern hohen, senkrecht abfallenden Wände der Vorberge majestätisch überragen. 
    Noch ehe ich mich der Besichtigung widmen möchte, brenne ich darauf, noch größere Höhen zu erklimmen als die erreichten und den Vulkankegel Huayna Picchu zu besteigen, der die Inkastadt um nochmals mehr als hundert Meter überragt. Zunächst noch in Wolken getaucht, wird die Sicht auf ihn bald frei, und nun brennt auch die Sonne gnadenlos herab auf das verbrannte Gestein. Ströme von Schweiß vergießend, gelange ich in weniger als 40 Minuten auf den Gipfel - von entgegenkommenden Touristen, die ich so sehr liebe, gehindert -, und am Ende führt eine schmale Röhre, in welche Stufen eingelassen sind, auf die abschließende Felsplatte. Da die umgebende Bergwelt noch wolkenverschleiert ist und ihr Gesicht nicht zeigen will, hat sich der Anstieg allein um der Aussicht willen nicht gelohnt, so daß ich mich neuen Zielen zuwende - dem Inka Trail. Was harmlos beginnt, endet jäh. An einer abgestürzten Holzbrücke muß ich nach einer guten dreiviertel Stunde wieder umkehren, gerade als der Weg anfing, interessant zu werden. Manchmal nur eine Fußesbreite, fällt rechts die Steilwand 500 m tief ab, während über mir eine ebenso hohe senkrechte Felswand sich erhebt. Kaum gesichert und das Unglück herausfordernd, zeichnet sich dieser Steig dem Betrachter von fern wie ein Schnitt in der Wand ab, einmal aufwärts, einmal abwärts, und ich wäre wahrscheinlich niemals mehr umgekehrt, wenn nur ein Weiterkommen möglich gewesen wäre. Seltsame Pflanzen, deren Namen ich nicht kenne, mit kelchartigen Blüten, wachsen zuhauf in den Bäumen, so daß man sie fast greifen möchte. Aber jeder weitere Griff nach diesen paradiesischen Früchten wäre tödlich, und die Ernüchterung bringt mich auf den rechten Weg zurück, und der führt zum Sonnentor, welches, ebenso hoch wie der Huayna Picchu gelegen, die Schneise, das Einfallstor zur Inkastadt bildet. Es ist nicht möglich, Machu Picchu in nur vier Stunden auszukundschaften und alle seine Rätsel auszuloten, man muß ein zweites Mal kommen, weil einmal nicht genug ist; also heißt es Abschied nehmen. 
    Ein Indianerjunge, der oben losläuft, als wir uns gerade in Bewegung setzen, erreicht uns jedesmal zur rechten Zeit an der Straße, noch ehe unser Fahrzeug den Kreuzungspunkt passiert, und ich denke mir, daß er fast heruntergeflogen sein muß, damit ihm so etwas möglich war. Aber es ist kein Geist, der da am Wegrand steht und uns zujubelt und winkt, auch sind es nicht mehrere; es ist stets dasselbe Gesicht und dieselbe Stimme, die uns zuruft. Die erst in viel späterer Zeit angelegten Serpentinenwege nämlich werden im rechten Winkel von einem Treppenaufgang gekreuzt. 
    So, wie wir gekommen sind, fahren wir von Agua Calientes auch wieder zurück, nur dauert es diesmal etwas länger, da wir beständig bergauf, und nie bergab fahren. Als die Kordillere von den letzten waagrecht einfallenden Sonnenstrahlen nur mehr gestreift wird und das Licht bereits gespenstisch lange Schatten auf den Boden wirft, da wird uns schlagartig klar, welchen Grad an Vollkommenheit die Schöpfung in diesem Augenblick erreicht hat. Noch während sich die zackigen Bergspitzen, einem Schattenspiel gleich, gegen den gelblich-weißen Horizont abzeichnen, tauchen unter uns die ersten Lichter von Cuzco auf, und einem Lichtermeer gleich erstrahlt die Stadt bei unserer Ankunft, als habe in dem Moment die hell erleuchtete Statue des Segnenden Christus mit ausgebreiteten Armen den Takt dazu gegeben. Jetzt erklingen die Töne der Panflöte eindringlicher, und das auf ihr gehauchte Lied "El Condor Pasa" hat nun etwas ganz Gewaltiges an sich, so als würde es von einem Chor der Auferstehung angestimmt.

Das Heilige Tal der Inkas

    Unser letzter Besichtigungstag im Hochland von Peru vervollständigt die Liste der besonderen Sehenswürdigkeiten rund um Cuzco. Im wildromantischen Tal des Urubamba liegt hoch über dem Fluß eine weitere Bergfestung bzw. ein Heiligtum der Inkas, Pisac. Wie stets bei Inkafestungen, sind riesige Terrassenfelder in die Anlage einbezogen, offenbar, um im Fall einer Belagerung über genügend Lebensmittelreserven zu verfügen.