Die Stadt Potosí liegt, ein außerordentliches Panorama bildend, idyllisch in einen Talkessel eingebettet. "Potschsi" heißt in der Sprache der Inkas "krachen", und daher kommt auch der Name Potosí, das Grollen der Götter. Die Stadt kann, obwohl sie einen Flughafen besitzt, nicht mit Linienmaschinen angeflogen werden. Wie überall im Land stößt man auch hier auf viel amerikanische Militärpräsenz, und amerikanische Truppen, die den Flughafen für die Landung von Militärflugzeugen ausbauen wollten, mußten das Land wieder verlassen. – Während seiner Blütezeit war Potosí die größte Stadt Amerikas, größer als New York. Sie hat heute noch die Bevölkerungszahl nicht erreicht, die sie im 17. und 18. Jahrhundert besaß. Nur etwa 10 % der ehemals 200000 Einwohner waren Spanier, die übrigen Indio-Sklaven, von denen Zigtausende durch die schwere Arbeit in den Silberminen oder der Moneda, der Münze, dem Grab der Indios, ums Leben kamen. Die Moneda hat wegen des Feiertags heute geschlossen, so daß wir uns diese Besichtigung für morgen aufsparen.
Potosí hat sich mit seinen hölzernen und schmiedeeisernen Balkonen und Gesimsen, den barocken Fassaden, sein koloniales Kolorit noch weitgehend erhalten. Die Stadt besaß einst über dreißig Kirchen und Klöster, die fast alle im sogenannten Mestizenbarock erbaut sind, mit gedrehten, salomonischen Säulen. Die älteste Kirche der Stadt mit der wohl schönsten Fassade ist San Lorenzo, mit den Hauptwerken von Gaspar de la Cueva, einem begnadeten Bildhauer und Sohn der Stadt. Sie war früher dem heiligen Bartholomäus geweiht, der das grausamste Martyrium erlitten hat, das man sich vorstellen kann. Er wurde bei lebendigem Leibe gehäutet. Besonders schön mit Gemälden ausgestattet ist die Kirche San Martín, von der die berühmte Karfreitagsprozession ihren Ausgang nimmt.
Der für 14 Uhr angekündigte Umzug verschiebt sich auf 16 Uhr, so daß wir von der Prozession nur noch mitbekommen, wie sie sich in Bewegung setzt. Selbst das Militär und die Polizei nehmen daran teil, und die ganze Stadt hat sich fein herausgeputzt; die Häuserfassaden sind mit bunten Gardinen, Heiligenbildern und Blumen geschmückt, und die Farbenpracht der Uniformen zwischen den ebenso bunt bemalten alten Hausfassaden gleicht einem Meer von Blüten, eingebettet in ein tiefes bolivianisches Blau eines ungetrübt wolkenlosen Andenhimmels. Blendend weiß und lichtdurchflutet wirken die Pflasterstraßen der Stadt, wie versilberte Spiegel, und immer wieder fällt der Blick auf den allgegenwärtigen Sumaj Orcko, den Schönen Berg, wie der Cerro Rico in der Ketschua-Sprache auch genannt wird. Aus dem Silberberg von Potosí wurde früher soviel Silber herausgeholt, daß die Karfreitagsprozession auf Silberplatten einherschritt. Wahre Menschentrauben haben sich im Stadtzentrum gebildet, Touristen wie Einheimische, und die hingebungsvolle Religiosität der Menschen, auf die man allerorten trifft, ist wahrhaft beeindruckend. Kein gläubiger Indio würde achtlos an einer Kirche vorübergehen, ohne sich dabei zu bekreuzigen. Trotz des turbulenten Lebens trifft man kaum auf fröhliche Gesichter unter der mestizischen Bevölkerung. So bedingen tiefe Religiosität einerseits und bittere Armut andererseits sich gegenseitig.
Nach einem heißen Tag verlassen wir Potosí längs des mit Quecksilber geschwängerten Río de la Ribera, wo wir, umrahmt von roten Felsen, in einem Thermalgebiet radioaktiver Quellen außerhalb der Stadt unser Nachtquartier schlagen. Am nächsten Vormittag besichtigen wir die Moneda, weil das gestern nicht möglich war, und was wir dort sehen, ist recht beeindruckend. Die alte Münze von Potosí ist ein Gebäude von gewaltigen Ausmaßen mit insgesamt neun Innenhöfen. Sie gilt als größter Kolonialbau Südamerikas. Es werden u.a. Gemälde von Melchor Pérez Holdin gezeigt, aber auch eine überaus reichhaltige Sammlung anonymer Maler, die vornehmlich nach Vorlagen alter Kupferstiche gearbeitet haben, ist hier zusammengestellt. Das Gebälk ist aus dem Holz einheimischer Zedern und Zypressen errichtet, das zu diesem Zweck über weite Strecken herangebracht werden mußte. In Potosí werden heute in Aufforstungsversuchen wieder andine Zedern angepflanzt. Vom Schmelzen des Erzes über das Pressen des Laminats bis hin zum Prägen und Stanzen der Münzen wird die gesamte Technik der Münzherstellung gezeigt. Auch eine Sammlung von Silbergeschirr, silbernen Tabernakeln, von silbergetriebenen Helmen bis hin zu silbernem Zaumzeug ist hier untergebracht.
Die Weiße Stadt
Von Potosí schlagen wir den Weg nach Sucre ein, das in der Cordillera Central liegt; er führt uns durch eine überaus fruchtbare Gegend. Bei Betanzos sind durch die Erosion des Porphyrs wesentlich weichere Formen entstanden, als sie etwa durch die Erosion des Basalts entstehen. Soweit das Auge reicht, sind die Felder bewirtschaftet, allerdings werden sie noch von Handarbeit bestellt. Die Frauen reagieren gereizt, wenn sie bei der Arbeit photographiert werden, und werfen gleich mit Steinen; auch laufen sie schreiend hinter einem her, so daß es sich empfiehlt, tunlichst das Weite zu suchen. Auf der erst seit fünf Jahren gut ausgebauten Straße fahren wir in großen Serpentinen hinab ins Tal des Río Minca, der allerdings völlig ausgetrocknet ist. Hoch über dem Flußbett gedeihen wilde Tomaten, eine neben dem Kakao ureigene südamerikanische Pflanze. Auch diese wurde, von Amerika kommend, nach Europa eingeführt. Am Nachmittag erreichen wir erneut den Río Pilcomayo, über den eine Brücke aus dem vorletzten Jahrhundert führt, die im gotischen Backsteinstil errichtet ist. Nochmals zu einer Paßhöhe der bis oben hin grünen Zentralkordillere ansteigend, gelangen wir schließlich hinab in das 1200 m tiefer gelegene Sucre, das schon in der Kolonialzeit bedeutender war als La Paz. 1624 wurde hier, von Jesuiten geführt, eine der ältesten Universitäten Südamerikas gegründet.
Sucre ist die Hauptstadt Boliviens und wird auch die Weiße Stadt genannt. Ihr ursprünglicher Name Neu-Toledo ist ihr nicht geblieben. Da La Paz lediglich Regierungssitz ist – dieser wurde 1899 von Sucre nach La Paz verlegt –, ist Quito, die Hauptstadt Ecuadors, die höchstgelegene Hauptstadt Südamerikas. Auch Sucre konnte sich seinen Kolonialcharakter bewahren. Es besitzt trotz seiner Hauptstadteigenschaft nicht viel, was es zu besichtigen gäbe. Da wären einmal das Museum im alten Regierungsgebäude, in dem die Unabhängigkeitsdeklaration unterzeichnet wurde, und zum zweiten das Kirchenmuseum mit Werken berühmter einheimischer Maler und Silberschmiede, darunter die Madonna von Guadeloupe, die als das Hauptwerk des Malers Berri gilt. Die Gemäldegalerie im Regierungsgebäude umfaßt Portraits der Unabhängigkeitshelden und Präsidenten Boliviens sowie eine Büste von Pizarro. Die Kathedrale wurde ursprünglich im barocken Stil errichtet, aber auf Anordnung Sucres, des ersten Präsidenten, im neoklassischen Stil umgebaut. Beachtung ob ihrer Holzkassettendecke verdient auch die Franziskanerkirche.